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ILO Social Dialogue Report 2024

Sozialer Dialog als Schlüssel für wirtschaftliche und soziale Entwicklung und integrative Transformationsprozesse - ILO-Bericht

Der neue ILO-Bericht über den Stand des sozialen Dialogs 2024 zeigt das Potenzial des sozialen Dialogs auf höchster Ebene bei der Förderung menschenwürdiger Arbeit in einer Zeit beispiellosen Wandels.

11. Dezember 2024

Social Dialogue Report 2024 © iStock.com/AzmanL

GENF (ILO News) – Der aktuelle Bericht der International Labour Organization (ILO) zeigt auf, wie sozialer Dialog Länder in die Lage versetzen kann, neben sozialem Fortschritt auch die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben und gleichzeitig eine faire und integrative Transformation zu einer kohlenstoffarmen und digitalen Wirtschaft zu gewährleisten. 

Der Bericht über den Stand des sozialen Dialogs 2024: Peak-level social dialogue for economic development and social progress konzentriert sich auf den ‚Sozialen Dialog auf höchster Ebene‘ (Peak-level social dialogue - PLSD) - eine Reihe von Institutionen und Prozessen, bei denen Regierungen, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen auf nationaler oder sektoraler Ebene über arbeits-, wirtschafts- und sozialpolitische Fragen verhandeln, sich gegenseitig beraten und Informationen austauschen. 

Der Bericht zeigt, dass PLSD zu menschenwürdiger Arbeit, einer gerechteren Verteilung des Arbeitseinkommens und einer gerechten digitalen und grünen Transformation beitragen kann. Die Achtung der Vereinigungsfreiheit und die effektive Anerkennung des Rechts auf Tarifverhandlungen im Recht und in der Praxis sind von wesentlicher Bedeutung. Die Wirkung von PLSD wird jedoch geschwächt, wenn sozioökonomische Maßnahmen von kurzfristigen Erwägungen geleitet sind und sie wichtige Teile der Gesellschaft ausschließen.

„Diese Ausgabe des Berichts über den Stand des sozialen Dialogs wird inmitten wirtschaftlicher und geopolitischer Instabilität veröffentlicht“, sagte Manuela Tomei, Assistant Director General der ILO für Governance, Rights and Dialogue. „In einer Zeit, in der technologischer Fortschritt, Klimawandel und demografische Veränderungen Arbeitsmärkte tiefgreifend verändern, ist sozialer Dialog nach wie vor ein glaubwürdiges Governance-Modell, um Komplexität zu bewältigen, faire Lösungen zu finden und soziale Gerechtigkeit zu fördern.“ 

Der Bericht stützt sich auf Fallstudien, Daten zu Arbeitsbeziehungen, eine globale Übersicht über Prozesse und Ergebnisse des sozialen Dialogs und eine Umfrage unter 71 Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen in 38 Ländern über die Wirksamkeit und Einbeziehung der nationalen Institutionen des sozialen Dialogs (NSDI).

Der Bericht hebt die wesentlichen Voraussetzungen für einen wirksamen sozialen Dialog hervor. Ein wichtiges Ergebnis des Berichts ist, dass sich die Einhaltung der Vereinigungsfreiheit und die effektive Anerkennung des Rechts auf Tarifverhandlungen in den Mitgliedsländern zwischen 2015 und 2022 um 7 Prozent verschlechtert hat. Dieser Rückgang ist auf eine Zunahme der Verletzungen grundlegender bürgerlicher Freiheiten und der Verhandlungsrechte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern und ihrer Vertretungsorganisationen zurückzuführen. „Länder, die diese grundlegenden Arbeitnehmerrechte aufrechterhalten, sind besser in der Lage, das transformative Potenzial von PLSD zu erschließen und sowohl soziale Gerechtigkeit als auch demokratische Regierungsführung zu stärken“, betonte Tomei.

Nationale Institutionen des sozialen Dialogs sind stark präsent und relevant, sollten aber stärker einbezogen werden 

In 87 Prozent der ILO-Mitgliedstaaten gibt es nationale Institutionen des sozialen Dialogs. Drei Viertel der Arbeitnehmer und zwei Drittel der Arbeitgeber halten sie für wirksam, aber es bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich einer unzureichenden Weiterverfolgung der Ergebnisse des sozialen Dialogs durch Regierungen oder Behörden. Ein weiterer Grund zur Besorgnis geben die Inklusivität nationaler Institutionen des sozialen Dialogs und Lücken bei der Vertretung der Bedürfnisse unterrepräsentierter Gruppen, wie Frauen, Jugendliche und Beschäftigen in der informellen Wirtschaft. 

Stärkere Einbeziehung der Sozialpartner in die Politikgestaltung erforderlich

In vielen Ländern wird anerkannt, wie wichtig es ist Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen bei der Gestaltung und Lenkung der Beschäftigungspolitik oder der Sozialsysteme mit einzubeziehen. So sind beispielsweise in mehr als 30 Prozent der öffentlichen Arbeitsverwaltungen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter im Verwaltungsrat vertreten, während 25 Prozent der nationalen Maßnahmen für Beschäftigungspolitiken dreigliedrige Konsultationen als eine der wichtigsten Anforderungen nennen. Etwa 80 Prozent der 187 Mitgliedstaaten der ILO haben dreigliedrige Gremien für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit auf höchster Ebene eingerichtet, während Sozialschutzreformen in 65 Ländern den Geltungsbereich von Renten-, Gesundheits- und Arbeitnehmerleistungen unter Einbeziehung der Sozialpartner erweitert haben.

Stärkere PLSD-Institutionen zur Bewältigung der Lebenshaltungskostenkrise

In dem Bericht wird auch die Rolle der Mindestlohnfestsetzung unter Einbeziehung der Sozialpartner und sektoraler Tarifverhandlungen bei der Bewältigung der Lebenshaltungskostenkrise und der Förderung der Lohngleichheit untersucht. Sozialer Dialog trägt dort wirksamer zur Bekämpfung der hohen Ungleichheit der Arbeitseinkommen bei, wo es nationale Mindestlöhne, die von Regierungen mit den Sozialpartnern festgelegt werden, und sektorale Mindestlöhne gibt, die durch Tarifverhandlungen festgelegt werden. 

Förderung von PLSD für eine gerechte digitale und grüne Transformation 

Es gibt Hinweise darauf, dass sozialer Dialog auf höchster Ebene gesellschaftlichen Konsens über die digitale und grüne Transformation fördert. Das Vertrauen in PLSD zur Bewältigung dieser doppelten Transformation ist jedoch in Ländern mit gut etablierten Institutionen des sozialen Dialogs und mit einer stärkeren digitalen Vernetzung stärker ausgeprägt. Eine Überprüfung von 118 Prozessen des sozialen Dialogs aus den Jahren 2022-2023 zeigt, dass etwa ein Viertel Themen im Zusammenhang mit der doppelten Transformation behandelt, vor allem in Europa. Eine neue Generation industriepolitischer Maßnahmen, die auf wirtschaftliche Diversifizierung und Strukturwandel abzielen und die doppelte Transformation unterstützen, bieten eine günstige Gelegenheit, die Rolle des sozialen Dialogs bei der Steuerung dieser Transformation zu stärken.

Ein Aufruf zum Handeln, um das Potenzial von PLSD zu erschließen

Um die Inklusivität und Wirksamkeit des sozialen Dialogs auf höchster Ebene voll auszuschöpfen, sind folgende Punkte notwendig: 

  • Wahrung der grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit, insbesondere der Vereinigungsfreiheit und der effektiven Anerkennung des Rechts auf Tarifverhandlungen.
  • Ausstattung der Arbeitsverwaltungen und Sozialpartner mit den notwendigen Ressourcen und technischen Kapazitäten für eine wirksame Beteiligung an PLSD. 
  • Ausweitung der Reichweite der nationalen Institutionen des sozialen Dialogs und der Sozialpartner auf unterrepräsentierte Gruppen. 
  • Durchführung regelmäßiger, faktengestützter Evaluierungen der Rolle und des Einflusses von Institutionen des sozialen Dialogs in der Verabschiedung sozioökonomischer Maßnahmen.