Global Wage Report Steigende Inflation führt zu starkem Absinken der Reallöhne

Passgenaue politische Maßnahmen sind dringend notwendig, um zu verhindern, dass bestehende Armut, Ungleichheit und sozialer Unfriede sich verstärken – so ein Resümee des aktuellen ILO-Berichts zu Löhnen weltweit.

Pressemitteilung | 13. Dezember 2022

GENF (ILO News) – Die gestiegene Inflation, kombiniert mit einer weltweiten Verlangsamung des Wirtschaftswachstums – zu Teilen getrieben durch den Krieg in der Ukraine und die globale Energiekrise – sorgt für einen Einbruch der realen Monatslöhne in vielen Ländern.

Laut dem neuesten Bericht der ILO verringert die Krise die Kaufkraft des Mittelstandes und trifft Haushalte mit geringen Einkommen am härtesten.

Der Global Wage Report 2022-2023: The Impact of inflation and COVID-19 on wages and purchasing power schätzt, dass die weltweiten Monatslöhne in der ersten Hälfte des Jahres 2022 real um 0,9% gefallen sind. Damit sind die Löhne im 21. Jahrhundert zum ersten Mal gesunken.

In den Industriestaaten der G20 sind die Reallöhne in der ersten Hälfte dieses Jahres um 2,2% gesunken, während die Reallöhne in den aufstrebenden G20-Volkswirtschaften um 0,8% anstiegen, ein Einbruch um 2,6% im Vergleich zu 2019 vor dem Beginn der COVID-19-Pandemie.

„Die zahlreichen globalen Krisen haben zu einem Sinken der Reallöhne geführt. Dies hat Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in eine schwierige Lage versetzt und sie mit großen Unsicherheiten konfrontiert“, kommentiert Gilbert F. Houngbo, Generaldirektor der ILO. „Einkommensungleichheit und Armut werden steigen, wenn die Kaufkraft der Ärmsten nicht aufrechterhalten wird. Zudem setzt diese Entwicklung die dringend benötigte postpandemische Erholung aufs Spiel. Dies könnte zu weiteren sozialen Spannungen weltweit führen und das Ziel von Wohlstand und Frieden für alle gefährden.“

Inflation trifft Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit niedrigen Löhnen am härtesten

Die steigenden Lebenshaltungskosten treffen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie ihre Familien in den niedrigen Einkommensgruppen am härtesten, die bereits aufgrund der COVID-19-Pandemie signifikante Lohneinbußen hinnehmen mussten.

Die Analysen zeigen, dass steigende Inflation einen größeren Einfluss auf die Lebenshaltungskosten von Geringverdienern hat. Dies liegt darin begründet, dass diese einen Großteil ihres verfügbaren Einkommens für essentielle Güter und Dienstleistungen aufwenden müssen, deren Preise in der Regel stärker steigen als die von nichtessentiellen Gütern und Dienstleistungen.

Inflation wirkt sich außerdem negativ auf die Kaufkraft von Mindestlöhnen aus. Schätzungen zeigen, dass trotz bereits vorgenommener nominaler Anpassungen die sich beschleunigende Inflation den Realwert der Mindestlöhne in vielen Ländern auffrisst.

Maßnahmen zur Erhaltung der Lebensstandards

Die Analyse macht deutlich, dass jetzt gut aufeinander abgestimmt politische Maßnahmen notwendig sind, um Kaufkraft und Lebensstandard von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie ihrer Familien zu erhalten.

Die adäquate Anpassung Mindestlöhne ist ein Reaktionsmöglichkeit, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass 90% der ILO-Mitgliedstaaten über gesetzliche Mindestlöhne verfügen. Ein wirkungsvoller tripartiter Sozialdialog und Tarifverhandlungen können ebenfalls zu angemessenen Lohnanpassungen während der Krise beitragen.

Denn der Kampf gegen das Absinken der Reallöhne kann dazu beitragen, ökonomisches Wachstum zu sichern, was wiederrum helfen kann, das Beschäftigungsniveau auf vorpandemische Level anzuheben.

Zur Eindämmung der Lebenshaltungskosten für Haushalte können gezielte Maßnahmen für bestimmte Gruppen beitragen, z.B. Gutscheine für Haushalte mit geringem Einkommen zur Sicherung des grundlegenden Bedarfs. Die Senkung der Mehrwertsteuer auf essentielle Güter kann helfen, die Belastung der Haushalte zu mindern und die Inflation zu senken. Maßnahmen müssen insbesondere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im mittleren und unteren Einkommensbereich in den Blick nehmen. Dies kann die Wahrscheinlichkeit und die Stärke von Rezessionen in allen Staaten und Regionen verringern.

Der Bericht, der sowohl nationale als auch regionale Daten enthält, zeigt auf, dass die Inflation im ersten Halbjahr 2022 proportional schneller in Ländern mit höherem Einkommen gestiegen ist als in Staaten mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. In der EU haben Regelungen wie Kurzarbeitergeld und Lohnsubventionen das Lohnniveau zu weiten Teilen vor den Auswirkungen der Pandemie geschützt. Im Jahr 2021 ist innerhalb der EU zunächst ein Anstieg des Reallohns um 1,3% zu verzeichnen, gefolgt von einem Absinken der Reallöhne um 2,4% im ersten Halbjahr 2022.