ILO Monitor zur Arbeitswelt und COVID-19

Lage am Arbeitsmarkt verschlechtert sich aufgrund des Kriegs in der Ukraine und weltweiter Krisen

Laut der neusten Ausgabe des „ILO Monitor on the World of Work“ werden Arbeitslosigkeit und Ungleichheit voraussichtlich weiter steigen, da verschiedene sich überlappende ökonomische und politische Krisen eine Erholung des Arbeitsmarktes weltweit gefährden.

Nachricht | 31. Oktober 2022
© Bryon Lippincott

GENF (ILO News) – Steigende Inflation verursacht in vielen Ländern eine Verringerung der Reallöhne. Dies kommt zu den erheblichen Einkommensrückgängen während der COVID-19-Krise hinzu, die in vielen Ländern vor allem die einkommensschwachen Gruppen betrafen.

Anfang 2022 stieg die Zahl der weltweit gearbeiteten Stunden deutlich, vor allem in höher qualifizierten Betätigungen und für Frauen. Allerdings war diese Entwicklung zu einem großen Teil durch ein Wachstum im Bereich von informeller Arbeit getrieben und gefährdet so einen 15 Jahre anhaltenden Trend zu mehr und mehr Formalisierung. Im Laufe des Jahres verschlechterte sich die Situation. Nach Schätzungen der ILO lag die Anzahl der weltweit gearbeiteten Stunden im dritten Quartal 2022 immer noch 1,5% unter dem Niveau vor der Pandemie, was einem Defizit von 40 Millionen Vollzeitstellen gleichkommt.

Der ILO Monitor on the World of Work (10. Auflage) stellt fest, dass sich verschlechternde Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt sowohl auf die Schaffung als auch auf die Qualität von Arbeitsplätzen negativ auswirken und bereits „Indikatoren vorliegen, die eine starke Abkühlung des Arbeitsmarktes andeuten“. Ungleichheiten zwischen den verschiedenen nationalen Arbeitsmärkten werden wahrscheinlich weiterhin steigen und zu einer andauernden Divergenz zwischen entwickelten Staaten und Entwicklungsländern führen.

Wir brauchen eine starke Beteiligung an Initiativen wie dem UN Global Accelerator on Jobs and Social Protection, der helfen würde, weltweit 400 Mio. Arbeitsplätze zu schaffen und Sozialschutz auf mehr als 4 Mrd. Menschen auszudehnen, die bislang unzureichenden Schutz haben“

Gilbert F. Houngbo, Generaldirektor der ILO
Laut Monitor „hat sich im Laufe des Jahres 2022 ein Komplex aus verschiedenen und sich überlappenden Krisen gebildet, welche die Welt der Arbeit signifikant beeinflussen, noch verstärkt durch den Krieg in der Ukraine und daraus resultierenden Spillover-Effekten“. Die Auswirkungen dieser Krisen zeigen sich in einer Inflation der Lebensmittel- und Energiepreise, sinkenden Reallöhnen, wachsender Ungleichheit, schrumpfendem politischen Spielraum und höheren Schulden in Entwicklungsländern. Eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums und der aggregierten Nachfrage wird zudem die Nachfrage nach Arbeitskräften reduzieren, da Unsicherheit und schlechtere Zukunftsaussichten sich auch negativ auf die Einstellung neuer Arbeitskräfte auswirken.

„Um die besorgniserregende globale Situation auf den Arbeitsmärkten angehen zu können und einen starken globalen Abschwung der Arbeitsmärkte zu verhindern, braucht es umfassende, integrierte und ausgewogene Maßnahmen, sowohl auf nationaler als auch auf globaler Ebene“, forderte Gilbert F. Houngbo, Generaldirektor der ILO. „Wir brauchen die Implementierung einer breiten Auswahl von politischen Instrumenten, darunter Eingriffe in die Preise öffentlicher Güter, die Umleitung von Zufallsgewinnen, die Erhöhung von Einkommenssicherheit durch sozialen Schutz und gezielte Maßnahmen zur Unterstützung der anfälligsten Menschen und Unternehmen“.

Houngbo fügte weiter hinzu: „Wir brauchen eine starke Beteiligung an Initiativen wie dem UN Global Accelerator on Jobs and Social Protection, der helfen würde, weltweit 400 Mio. Arbeitsplätze zu schaffen und Sozialschutz auf mehr als 4 Mrd. Menschen auszudehnen, die bislang unzureichenden Schutz haben. Ein schnelles Ende des Konflikts in der Ukraine, wie in der Resolutionen des Verwaltungsrats gefordert, würde dazu beitragen die globale Beschäftigungssituation zu verbessern“.

Ukraine

Zusätzlich zu den schrecklichen humanitären Kosten hat der Krieg in der Ukraine dramatische negative Auswirkungen auf die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt der Ukraine. Die ILO schätzt, dass die Beschäftigung 2022 im Vergleich zur Zeit vor dem Krieg 2021 um 15,5% (2,4 Millionen Arbeitsplätze) eingebrochen ist. Damit liegt die aktuelle Schätzung unter der im April 2022 veröffentlichten ersten Prognose der ILO, die vorhersagte, dass rund 4,8 Mio. Jobs verloren gehen würden. Diese positive Veränderung ergibt sich aus dem Umstand, dass sich die Zahl der besetzten oder von aktiven Kampfhandlungen betroffenen Gebiete verringert hat. Nichtsdestotrotz bleibt laut Monitor die teilweise Erholung des Arbeitsmarktes hochfragil und auf niedrigem Niveau.

Der Bericht warnt zudem davor, dass die hohe Anzahl von arbeitssuchenden Binnengeflüchteten und Geflüchteten die bestehenden Probleme verschärfen und wahrscheinlich einen Abwärtsdruck auf die Löhne auslösen wird.

Laut Schätzungen des Berichts sind 10,4% aller Arbeitskräfte des Landes in andere Staaten geflohen. Diese Gruppe (1,6 Millionen Menschen) besteht überwiegend aus Frauen, die zuvor im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsektor gearbeitet haben. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass bisher 28% der befragten ukrainischen Geflüchteten eine Lohnanstellung oder selbstständige Beschäftigung in ihren Gastländern gefunden haben.

Die Auswirkungen des Konflikts sind auch in den Arbeitsmärkten der benachbarten Staaten zu spüren, was in diesen Staaten die politische Lage und die Lage am Arbeitsmarkt destabilisieren könnte.

Auch weiter weg, in Zentralasien und weltweit, äußern sich die Auswirkungen des Konflikts in höheren und volatileren Preisen und einer erhöhten Ernährungsunsicherheit und Armut.

Mit vielen Krisen umgehen

Der Bericht fordert, dass die notwendigen Maßnahmen, um den Arbeitsmarktabschwung zu adressieren, im Sozialdialog erarbeitet werden. Die Maßnahmen sollten dabei nicht nur auf die Inflation reagieren, sondern auch die breiteren Auswirkungen auf Beschäftigung, Unternehmen und Armut in den Blick nehmen. Der Bericht warnt vor einer übermäßig restriktiven Geldpolitik, die sowohl in den Industriestaaten als auch in den Entwicklungsländern „unangemessenen Schaden an Arbeitsplätzen und Einkommen“ anrichten könnte.