INTERNATIONALE ARBEITSORGANISATION

Empfehlung 193

Empfehlung betreffend die Förderung der Genossenschaften

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation,

die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 3. Juni 2002 zu ihrer neunzigsten Tagung zusammengetreten ist,

anerkennt die Bedeutung der Genossenschaften für die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Mobilisierung von Ressourcen und die Förderung von Investitionen sowie ihre Bedeutung für die Volkswirtschaft,

erkennt an, dass Genossenschaften in ihren verschiedenen Formen die umfassendste Beteiligung an der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der gesamten Bevölkerung fördern,

erkennt an, dass die Globalisierung neue und verschiedene Belastungen, Probleme, Herausforderungen und Chancen für die Genossenschaften geschaffen hat, und dass es stärkerer Formen menschlicher Solidarität auf nationaler und internationaler Ebene bedarf, um eine gerechtere Verteilung der Vorteile der Globalisierung zu ermöglichen,

verweist auf die von der Internationalen Arbeitskonferenz auf ihrer 86. Tagung (1998) angenommene Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit,

verweist auf die in internationalen Arbeitsübereinkommen und -empfehlungen enthaltenen Rechte und Grundsätze, insbesondere in dem Übereinkommen über Zwangsarbeit, 1930, dem Übereinkommen über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes, 1948, dem Übereinkommen über das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen, 1949, dem Übereinkommen über die Gleichheit des Entgelts, 1951, dem Übereinkommen über Soziale Sicherheit (Mindestnormen), 1952, dem Übereinkommen über die Abschaffung der Zwangsarbeit, 1957, dem Übereinkommen über die Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf), 1958, dem Übereinkommen über die Beschäftigungspolitik, 1964, dem Übereinkommen über das Mindestalter, 1973, dem Übereinkommen und der Empfehlung über die Verbände ländlicher Arbeitskräfte, 1975, dem Übereinkommen und der Empfehlung über die Erschließung des Arbeitskräftepotentials, 1975, der Empfehlung betreffend die Beschäftigungspolitik (ergänzende Bestimmungen), 1984, der Empfehlung betreffend die Schaffung von Arbeitsplätzen in kleinen und mittleren Unternehmen, 1998, und dem Übereinkommen über die schlimmsten Formen der Kinderarbeit, 1999,

erinnert an den in der Erklärung von Philadelphia enthaltenen Grundsatz, dass „Arbeit keine Ware ist",

weist darauf hin, dass die Realisierung menschenwürdiger Arbeit für die Arbeitnehmer überall ein Hauptziel der Internationalen Arbeitsorganisation ist,

hat beschlossen, verschiedene Anträge betreffend die Förderung der Genossenschaften anzunehmen, eine Frage, die den vierten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 20. Juni 2002, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend die Förderung der Genossenschaften, 2002, bezeichnet wird.

I. Geltungsbereich, Begriffsbestimmungen und Ziele

1.  Es wird anerkannt, dass Genossenschaften in allen Wirtschaftssektoren tätig sind. Diese Empfehlung gilt für alle Arten und Formen von Genossenschaften.

2.  Im Sinne dieser Empfehlung bedeutet der Ausdruck „Genossenschaft" eine eigenständige Vereinigung von Personen, die sich freiwillig zusammengeschlossen haben, um durch ein in Gemeinschaftseigentum befindliches und demokratisch geleitetes Unternehmen ihre gemeinsamen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse und Bestrebungen zu erfüllen.

3.  Die Förderung und Stärkung der Identität der Genossenschaften sollte angeregt werden auf der Grundlage:

a) der genossenschaftlichen Werte der Selbsthilfe, Eigenverantwortlichkeit, Demokratie, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität sowie der ethischen Werte der Ehrlichkeit, Offenheit, sozialen Verantwortung und Sorge für andere; und

b) der von der internationalen Genossenschaftsbewegung aufgestellten und im beigefügten Anhang erwähnten genossenschaftlichen Grundsätze. Diese Grundsätze sind: freiwillige und offene Mitgliedschaft; demokratische Entscheidungsfindung durch die Mitglieder; wirtschaftliche Mitwirkung der Mitglieder; Autonomie und Unabhängigkeit; Ausbildung, Fortbildung und Information; Kooperation mit anderen Genossenschaften und Vorsorge für die Gemeinschaft der Genossenschaft.

4.  Es sollten Maßnahmen zur Förderung des Potentials der Genossenschaften in allen Ländern, ungeachtet ihres Entwicklungsstands, ergriffen werden, um ihnen und ihren Mitgliedern dabei zu helfen:

a) Einkommen erzeugende Tätigkeiten und dauerhafte menschenwürdige Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen und zu entwickeln;

b) durch Bildung und Ausbildung die Fähigkeiten der Humanressourcen zu entwickeln und die Kenntnis der Werte, der Vorteile und des Nutzens der Genossenschaftsbewegung zu vermitteln;

c) ihr geschäftliches Potential zu entwickeln, einschließlich ihrer unternehmerischen und Führungsfähigkeiten;

d) ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und Zugang zu den Märkten und zu institutioneller Finanzierung zu erhalten;

e) die Ersparnisse und die Investitionen zu vermehren;

f) das soziale und wirtschaftliche Wohl zu verbessern, wobei der Notwendigkeit Rechnung zu tragen ist, alle Formen der Diskriminierung zu beseitigen;

g) zu nachhaltiger menschlicher Entwicklung beizutragen; und

h) einen eigenen lebensfähigen und dynamischen Wirtschaftssektor, der Genossenschaften umfasst, zu schaffen und zu entwickeln, der den sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnissen der Gemeinschaft gerecht wird.

5.  Es sollte die Annahme besonderer Maßnahmen gefördert werden, um Genossenschaften als vom Geist der Solidarität geprägte Unternehmen und Organisationen in die Lage zu versetzen, auf die Bedürfnisse ihrer Mitglieder und die Bedürfnisse der Gesellschaft einzugehen, einschließlich der Bedürfnisse benachteiligter Gruppen, damit sie in die Gesellschaft eingegliedert werden.

II. politischer Rahmen und die Rolle der Regierungen

6.  Eine ausgeglichene Gesellschaft erfordert einen starken öffentlichen und privaten Sektor sowie einen starken Sektor, der Genossenschaften, auf dem Gegenseitigkeitsprinzip beruhende und andere soziale und nichtstaatliche Organisationen umfasst. In diesem Zusammenhang sollten die Regierungen einen förderlichen politischen und rechtlichen Rahmen schaffen, der der Natur und der Aufgabe der Genossenschaften entspricht und sich an den in Absatz 3 aufgeführten genossenschaftlichen Werten und Grundsätzen orientiert, um:

a) einen institutionellen Rahmen zu schaffen, der eine möglichst rasche, einfache, kostengünstige und effiziente Registrierung von Genossenschaften ermöglicht;

b) eine Politik zu fördern, die die Bildung angemessener Reserven, von denen zumindest ein Teil nicht teilbar sein könnte, und die Bildung von Solidaritätsfonds in Genossenschaften ermöglichen soll;

c) die Annahme von Maßnahmen für die Überwachung von Genossenschaften unter Bedingungen vorzusehen, die ihrem Wesen und ihren Aufgaben entsprechen, ihre Eigenständigkeit achten und der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis entsprechen, und die nicht weniger günstig sind als die, die für andere Unternehmens- und Vereinigungsformen gelten;

d) den Beitritt von Genossenschaften zu genossenschaftlichen Strukturen, die den Bedürfnissen der Genossenschaftsmitglieder entsprechen, zu erleichtern; und

e) die Entwicklung von Genossenschaften als autonome und selbstverwaltete Unternehmen zu fördern, insbesondere in Bereichen, in denen ihnen eine bedeutende Rolle zukommt oder in denen sie Dienste leisten, die von anderen nicht angeboten werden.

7.  (1)  Die Förderung von Genossenschaften, die sich von den in Absatz 3 aufgeführten Werten und Grundsätzen leiten lassen, sollte als eine der Stützen der nationalen und internationalen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung angesehen werden.

(2)  Genossenschaften sollten in Übereinstimmung mit der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis behandelt werden, und es sollten ihnen nicht weniger günstige Bedingungen wie anderen Unternehmens- und Vereinigungsformen gewährt werden. Die Regierungen sollten gegebenenfalls Unterstützungsmaßnahmen für die Tätigkeiten von Genossenschaften einführen, die bestimmten sozial- und staatspolitischen Zielen dienen wie Beschäftigungsförderung oder die Entwicklung von Tätigkeiten, die benachteiligten Gruppen oder Regionen zugute kommen. Solche Maßnahmen könnten u.a. und soweit möglich Steuervergünstigungen, Darlehen, Zuschüsse, Zugang zu Programmen für öffentliche Arbeiten und besondere Vorkehrungen im öffentlichen Beschaffungswesen einschließen.

(3)  Einer verstärkten Mitwirkung von Frauen in der Genossenschaftsbewegung auf allen Ebenen, insbesondere auf den Leitungs- und Führungsebenen, sollte besondere Beachtung geschenkt werden.

8.  (1)  Die innerstaatliche Politik sollte insbesondere:

a) die grundlegenden Arbeitsnormen der IAO und die Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit für alle Arbeitnehmer von Genossenschaften ohne jegliche Unterscheidung fördern;

b) sicherstellen, dass Genossenschaften nicht zu dem Zweck gegründet oder verwendet werden, die Arbeitsgesetze zu umgehen, und dass sie nicht dazu dienen, verschleierte Arbeitsverhältnisse zu begründen, und Pseudogenossenschaften bekämpfen, die die Arbeitnehmerrechte verletzen, indem sichergestellt wird, dass die Arbeitsgesetzgebung in allen Unternehmen angewendet wird;

c) die Gleichstellung der Geschlechter in Genossenschaften und bei deren Tätigkeiten fördern;

d) Maßnahmen fördern, um sicherzustellen, dass in Genossenschaften vorbildliche Arbeitspraktiken befolgt werden, einschließlich des Zugangs zu einschlägigen Informationen;

e) die fachlichen und beruflichen Fertigkeiten, die unternehmerischen und Führungsfähigkeiten, die Kenntnis des geschäftlichen Potentials und die allgemeinen wirtschafts- und sozialpolitischen Kompetenzen der Mitglieder, Arbeitnehmer und Führungskräfte entwickeln und ihren Zugang zu den Informations- und Kommunikationstechnologien verbessern;

f) die Bildung und Ausbildung in genossenschaftlichen Grundsätzen und Gepflogenheiten auf allen geeigneten Stufen der innerstaatlichen Bildungs- und Ausbildungssysteme und in der Gesellschaft als Ganzes fördern;

g) die Annahme von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz fördern;

h) Ausbildung und andere Unterstützungsformen vorsehen, um das Produktivitätsniveau und die Wettbewerbsfähigkeit von Genossenschaften sowie die Qualität der von ihnen erzeugten Güter und Dienstleistungen zu verbessern;

i) den Zugang der Genossenschaften zu Krediten erleichtern;

j) den Zugang der Genossenschaften zu Märkten erleichtern;

k) die Verbreitung von Informationen über Genossenschaften fördern; und

l) eine Verbesserung der innerstaatlichen Statistiken über Genossenschaften im Hinblick auf die Formulierung und Durchführung von Entwicklungsmaßnahmen anstreben.

(2)  Diese Politik sollte:

a) gegebenenfalls die Formulierung und Durchführung von Maßnahmen und Vorschriften betreffend Genossenschaften auf die regionale und lokale Ebene verlagern;

b) die gesetzlichen Verpflichtungen der Genossenschaften in Bereichen wie Registrierung, Rechnungsprüfung und Sozialaudits sowie Einholung von Genehmigungen festlegen; und

c) vorbildliche Führungspraktiken in Genossenschaften fördern.

9.  Die Regierungen sollten die bedeutende Rolle der Genossenschaften bei der Umwandlung von häufig marginalen, nur dem Überleben dienenden Tätigkeiten (manchmal als die „informelle Wirtschaft" bezeichnet) in gesetzlich geschützte Arbeit, die voll in das Wirtschaftsleben integriert ist, fördern.

III. Durchführung einer staatlichen Politik zur Förderung
von Genossenschaften

10.  (1)  Die Mitgliedstaaten sollten eine spezifische Gesetzgebung und spezifische Vorschriften über Genossenschaften, die sich von den in Absatz 3 aufgeführten genossenschaftlichen Werten und Grundsätzen leiten lassen, annehmen und diese Gesetzgebung und Vorschriften gegebenenfalls überarbeiten.

(2)  Die Regierungen sollten die genossenschaftlichen Organisationen sowie die in Betracht kommenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände bei der Formulierung und Überarbeitung der für die Genossenschaften geltenden Gesetzgebung, Maßnahmen und Vorschriften anhören.

11.  (1)  Die Regierungen sollten den Zugang der Genossenschaften zu Unterstützungsdiensten erleichtern, um sie zu stärken und ihre wirtschaftliche Existenzfähigkeit und ihre Fähigkeit zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Einkommen zu verbessern.

(2)  Diese Dienste sollten nach Möglichkeit Folgendes umfassen:

a) Programme zur Entwicklung der Humanressourcen;

b) Forschungs- und Unternehmensberatung;

c) Zugang zu Finanzmitteln und Investitionen;

d) Rechnungswesen und Rechnungsprüfung;

e) Managementinformation;

f) Information und Öffentlichkeitsarbeit;

g) Technologie- und Innovationsberatung;

h) Rechts- und Steuerberatung;

i) Unterstützungsdienste für die Vermarktung; und

j) gegebenenfalls sonstige Unterstützungsdienste.

(3)  Die Regierungen sollten die Einrichtung dieser Unterstützungsdienste erleichtern. Die Genossenschaften und ihre Organisationen sollten zur Mitwirkung an der Organisation und Verwaltung dieser Dienste und, soweit möglich und angebracht, zu ihrer Finanzierung angeregt werden.

(4)  Die Regierungen sollten die Rolle der Genossenschaften und ihrer Organisationen anerkennen, indem sie geeignete Instrumente entwickeln mit dem Ziel, Genossenschaften auf nationaler und lokaler Ebene zu gründen und zu stärken.

12.  Die Regierungen sollten gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen, um den Zugang der Genossenschaften zu Investitionsfinanzierung und Krediten zu erleichtern. Solche Maßnahmen sollten insbesondere:

a) den Zugang zu Darlehen und sonstigen Finanzierungsmöglichkeiten ermöglichen;

b) die Verwaltungsverfahren vereinfachen, bei einer unzureichenden Kapitalausstattung der Genossenschaften Abhilfe schaffen und die Kosten von Kreditgeschäften senken;

c) die Einrichtung eines autonomen Systems für die Finanzierung von Genossenschaften erleichtern, einschließlich Spar- und Kreditgenossenschaften, Genossenschaftsbanken und Versicherungsgenossenschaften; und

d) besondere Vorkehrungen für benachteiligte Gruppen umfassen.

13.  Zur Unterstützung der Genossenschaftsbewegung sollten die Regierungen Bedingungen fördern, die die Entwicklung von fachlichen, kommerziellen und finanziellen Verbindungen zwischen allen Formen von Genossenschaften begünstigen, um den Erfahrungsaustausch und das Verteilen von Risiken und Gewinnen zu erleichtern.

IV. Die Rolle der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände
und der genossenschaftlichen Organisationen und
ihre Beziehungen zueinander

14.  Die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sollten sich in Anerkennung der Bedeutung der Genossenschaften für das Erreichen der Ziele einer nachhaltigen Entwicklung zusammen mit den genossenschaftlichen Organisationen um Mittel und Wege zur Förderung von Genossenschaften bemühen.

15.  Die Arbeitgeberverbände sollten gegebenenfalls die Ausweitung der Mitgliedschaft auf beitrittswillige Genossenschaften in Erwägung ziehen und ihnen geeignete Unterstützungsdienste zu gleichen Bedingungen bieten, wie sie für andere Mitglieder gelten.

16.  Die Arbeitnehmerverbände sollten dazu ermutigt werden:

a) die Arbeitnehmer von Genossenschaften im Hinblick auf den Beitritt zu Arbeitnehmerverbänden zu beraten und zu unterstützen;

b) ihre Mitglieder bei der Gründung von Genossenschaften zu unterstützen, u.a. mit dem Ziel, den Zugang zu elementaren Gütern und Dienstleistungen zu erleichtern;

c) in Ausschüssen und Arbeitsgruppen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene mitzuarbeiten, die Wirtschafts- und Sozialfragen behandeln, die sich auf Genossenschaften auswirken;

d) bei der Gründung neuer Genossenschaften im Hinblick auf die Schaffung oder Erhaltung von Beschäftigungsmöglichkeiten behilflich zu sein und mitzuwirken, einschließlich in Fällen, in denen Betriebsschließungen vorgesehen sind;

e) bei Programmen für Genossenschaften, die auf die Verbesserung der Produktivität abzielen, behilflich zu sein und mitzuwirken;

f) die Chancengleichheit in Genossenschaften zu fördern;

g) die Ausübung der Rechte von Arbeitnehmern, die Mitglieder von Genossenschaften sind, zu fördern; und

h) sonstige Tätigkeiten zur Förderung von Genossenschaften, einschließlich Bildung und Ausbildung, durchzuführen.

17.  Die Genossenschaften und die Organisationen, die sie vertreten, sollten dazu ermutigt werden:

a) eine aktive Beziehung zu Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden und in Frage kommenden staatlichen und nichtstaatlichen Stellen aufzubauen, um ein günstiges Klima für die Entwicklung von Genossenschaften zu schaffen;

b) eigene Unterstützungsdienste zu leiten und zu ihrer Finanzierung beizutragen;

c) den angeschlossenen Genossenschaften kommerzielle und finanzielle Dienste zu erbringen;

d) in die Entwicklung der Fähigkeiten ihrer Mitglieder, Arbeitnehmer und Führungskräfte zu investieren und diese zu fördern;

e) die Entwicklung der nationalen und internationalen genossenschaftlichen Organisationen und den Beitritt zu ihnen zu fördern;

f) die nationale Genossenschaftsbewegung auf der internationalen Ebene zu vertreten; und

g) sonstige Tätigkeiten zur Förderung von Genossenschaften durchzuführen.

V. Internationale Zusammenarbeit

18.  Die internationale Zusammenarbeit sollte erleichtert werden durch:

a) den Austausch von Informationen über Maßnahmen und Programme, die sich bei der Schaffung von Arbeitsplätzen und Einkommen für die Mitglieder von Genossenschaften bewährt haben;

b) die Förderung von Beziehungen zwischen nationalen und internationalen Gremien und Institutionen, die an der Entwicklung von Genossenschaften beteiligt sind, um Folgendes zu ermöglichen:

i) den Austausch von Personal und Gedanken, von Bildungs- oder Ausbildungsmaterial sowie von Methodologien und Nachschlagematerial;

ii) die Zusammenstellung und Nutzung von Forschungsmaterial und sonstigen Daten über Genossenschaften und ihre Entwicklung;

iii) die Schaffung von Allianzen und internationalen Partnerschaften zwischen Genossenschaften;

iv) die Förderung und den Schutz der genossenschaftlichen Werte und Grundsätze; und

v) die Schaffung von kommerziellen Beziehungen zwischen Genossenschaften;

c) den Zugang von Genossenschaften zu nationalen und internationalen Daten in Bereichen wie Marktinformation, Gesetzgebung, Ausbildungsmethoden und -techniken, Technologie und Produktnormen; und

d) die Entwicklung gemeinsamer regionaler und internationaler Richtlinien und Rechtsvorschriften zur Unterstützung von Genossenschaften, soweit es gerechtfertigt und möglich ist, und zwar in Beratung mit den Genossenschaften und den in Betracht kommenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden.

VI. Schlussbestimmung

19.  Durch diese Empfehlung wird die Empfehlung betreffend die Genossenschaften (Entwicklungsländer), 1966, neugefasst und ersetzt.

Anhang

Auszug aus der Stellungnahme zur genossenschaftlichen Identität, angenommen von der Vollversammlung des Internationalen Genossenschaftsbunds im Jahr 1995

Die genossenschaftlichen Grundsätze dienen den Genossenschaften als Richtlinien, mit deren Hilfe sie ihre Werte in die Praxis umsetzen.

Freiwillige und offene Mitgliedschaft

Genossenschaften sind Organisationen auf freiwilliger Basis, die jedem offenstehen, der ihre Dienste in Anspruch nehmen kann und der bereit ist, die mit der Mitgliedschaft verbundenen Verantwortungen ohne jegliche Diskriminierung von Geschlecht, sozialer Herkunft, Rasse und politischer oder religiöser Überzeugung zu akzeptieren.

Demokratische Entscheidungsfindung durch die Mitglieder

Genossenschaften sind demokratische Organisationen, die von ihren Mitgliedern kontrolliert werden. Diese arbeiten aktiv mit, indem sie ihre Politik selbst bestimmen und durch demokratische Entscheidungen umsetzen. Männer und Frauen, die als gewählte Vertreter arbeiten, sind der Gesamtheit der Mitglieder rechenschaftspflichtig. In Genossenschaften auf unterster Organisationsebene haben Genossenschaftsmitglieder grundsätzlich gleiches Stimmrecht (ein Mitglied, eine Stimme); Genossenschaften auf anderen Ebenen sind ebenfalls demokratisch organisiert.

Wirtschaftliche Mitwirkung der Mitglieder

Genossenschaftsmitglieder zahlen zu gleichen Teilen das Kapital ihrer Genossenschaft ein, über das sie auch eine demokratische Kontrolle ausüben. Zumindest ein Teil der Rücklagen verbleibt in der Regel im gemeinschaftlichen Eigentum der Genossenschaft. Die Mitglieder erhalten einen begrenzten Ausgleich, wenn überhaupt, für das von ihnen gezeichnete Kapital, dessen Einzahlung Grundbedingung für die Mitgliedschaft ist. Die Mitglieder verwenden Erträge für einen bzw. alle der nachfolgend aufgeführten Zwecke: Weiterentwicklung ihrer Genossenschaft, soweit möglich durch die Bildung von Rücklagen, von denen zumindest ein Teil unteilbar ist, Begünstigung der Einzelmitglieder im Verhältnis zu der von diesen für die Genossenschaft erbrachten Leistungen und Förderung anderer, von den Mitgliedern beschlossener Aktivitäten.

Autonomie und Unabhängigkeit

Genossenschaften sind autonome Selbsthilfe-Organisationen, die von ihren Mitgliedern kontrolliert werden. Wenn sie Vereinbarungen mit Dritten, auch Regierungsstellen, treffen oder wenn sie Fremdkapital aufnehmen, geschieht dies so, dass die demokratische Kontrolle durch die Mitglieder und der Fortbestand der genossenschaftlichen Autonomie gewährleistet sind.

Ausbildung, Fortbildung und Information

Genossenschaften gewährleisten Aus- und Fortbildung ihrer Mitglieder, ihrer gewählten Vertreter, ihrer Geschäftsführer und Angestellten, so dass diese zur Fortentwicklung ihrer Genossenschaft wirksam beitragen können. Darüber hinaus informieren sie die Öffentlichkeit - besonders die Jugend und die meinungsbildenden Multiplikatoren - über Art und Vorzüge der Genossenschaft.

Kooperation mit anderen Genossenschaften

Genossenschaften dienen den Interessen ihrer Mitglieder am wirksamsten und stärken die Genossenschaftsbewegung am ehesten durch die Kooperation durch die örtlichen, regionalen, nationalen und internationalen Strukturen.

Vorsorge für die Gemeinschaft der Genossenschaft

Durch die von ihren Mitgliedern beschlossene Politik arbeiten die Genossenschaften an der nachhaltigen Entwicklung ihrer Gemeinschaften.