INTERNATIONALE ARBEITSORGANISATION

Übereinkommen 171

Übereinkommen über Nachtarbeit, 1990

Dieses Übereinkommen ist am 4. Januar 1995 in Kraft getreten.
Ort:Genf 
Tagung:77 

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation,

die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 6. Juni 1990 zu ihrer siebenundsiebzigsten Tagung zusammengetreten ist,

verweist auf die Bestimmungen der internationalen Arbeitsübereinkommen und -empfehlungen über die Nachtarbeit der Kinder und Jugendlichen und insbesondere auf die Bestimmungen des Übereinkommens und der Empfehlung über Nachtarbeit Jugendlicher (nichtgewerbliche Arbeiten), 1946, des Übereinkommens über die Nachtarbeit der Jugendlichen im Gewerbe (Neufassung), 1948, und der Empfehlung betreffend die Nachtarbeit der Kinder und Jugendlichen (Landwirtschaft), 1921, verweist auf die Bestimmungen der internationalen Arbeitsübereinkommen und -empfehlungen über die Nachtarbeit der Frauen und insbesondere auf die Bestimmungen des Übereinkommens über die Nachtarbeit der Frauen (Neufassung), 1948, und des dazugehörenden Protokolls von 1990, der Empfehlung betreffend die Nachtarbeit der Frauen (Landwirtschaft), 1921, und Absatz 5 der Empfehlung betreffend Mutterschutz, 1952,

verweist auf die Bestimmungen des Übereinkommens über die Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf), 1958,

verweist auf die Bestimmungen des Übereinkommens über den Mutterschutz (Neufassung), 1952,

hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend Nachtarbeit, eine Frage, die den vierten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und

dabei bestimmt, daß diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 26. Juni 1990, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über Nachtarbeit, 1990, bezeichnet wird.



Artikel 1

Im Sinne dieses Übereinkommens

a) bedeutet der Ausdruck „Nachtarbeit" jede Arbeit, die während eines Zeitraums von mindestens sieben aufeinanderfolgenden Stunden verrichtet wird, der die Zeit zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens einschließt und der von der zuständigen Stelle nach Anhörung der maßgebenden Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer oder durch Gesamtarbeitsverträge festzulegen ist;

b) bedeutet der Ausdruck „Nachtarbeiter" einen Arbeitnehmer, dessen Arbeit die Leistung einer erheblichen Anzahl von Nachtarbeitsstunden erfordert, die eine bestimmte Grenze überschreitet. Diese Grenze ist von der zuständigen Stelle nach Anhörung der maßgebenden Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer oder durch Gesamtarbeitsverträge festzulegen.



Artikel 2

1. Dieses Übereinkommen gilt für alle Arbeitnehmer mit Ausnahme derjenigen, die in der Landwirtschaft, der Viehzucht, der Fischerei, dem Seetransport und der Binnenschiffahrt beschäftigt sind.

2. Ein Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, kann nach Anhörung der in Betracht kommenden repräsentativen Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer begrenzte Gruppen von Arbeitnehmern ganz oder teilweise aus dessen Geltungsbereich ausnehmen, wenn die Anwendung des Übereinkommens auf diese Gruppen besondere Probleme von erheblicher Bedeutung aufwerfen würde.

3. Jedes Mitglied, das die in Absatz 2 dieses Artikels gebotene Möglichkeit in Anspruch nimmt, hat in seinen Berichten über die Durchführung des Übereinkommens gemäß Artikel 22 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation die besonderen Gruppen von Arbeitnehmern, die ausgenommen worden sind, sowie die Gründe für deren Ausnahme anzugeben. Es hat ferner alle Maßnahmen anzugeben, die getroffen worden sind, um die Bestimmungen des Übereinkommens schrittweise auf die betreffenden Arbeitnehmer auszudehnen.



Artikel 3

1. Es sind besondere, durch die Art der Nachtarbeit gebotene Maßnahmen, die mindestens die in den Artikeln 4 bis 10 erwähnten zu umfassen haben, für Nachtarbeiter zu treffen, um ihre Gesundheit zu schützen, ihnen die Erfüllung ihrer Familien- und Sozialpflichten zu erleichtern, ihnen Möglichkeiten für den beruflichen Aufstieg zu bieten und sie angemessen zu entschädigen. Solche Maßnahmen sind auch im Bereich der Sicherheit und des Mutterschutzes für alle Arbeitnehmer zu treffen, die Nachtarbeit verrichten.

2. Die in Absatz 1 erwähnten Maßnahmen können schrittweise angewendet werden.



Artikel 4

1. Die Arbeitnehmer müssen das Recht haben, sich auf Verlangen einer unentgeltlichen Prüfung ihres Gesundheitszustands zu unterziehen und sich beraten zu lassen, wie die mit ihrer Arbeit verbundenen Gesundheitsprobleme verringert oder vermieden werden können:

a) vor der Aufnahme einer Tätigkeit als Nachtarbeiter;

b) in regelmäßigen Zeitabständen während einer solchen Tätigkeit;

c) wenn sie während einer solchen Tätigkeit auf Gesundheitsprobleme stoßen, die nicht durch andere Faktoren als die Vorrichtung von Nachtarbeit verursacht werden.

2. Mit Ausnahme eines Befundes, der die Untauglichkeit zur Nachtarbeit ergeben hat, dürfen die Befunde solcher Prüfungen ohne die Zustimmung der Arbeitnehmer nicht an Dritte weitergegeben und dürfen nicht zu ihrem Nachteil verwendet werden.



Artikel 5

Für Arbeitnehmer, die Nachtarbeit verrichten, sind geeignete Erste-Hilfe-Einrichtungen bereitzustellen, einschließlich Vorkehrungen, die es gestatten, diese Arbeitnehmer erforderlichenfalls rasch an einen Ort zu bringen, wo sie eine zweckentsprechende Behandlung erhalten können.



Artikel 6

1. Nachtarbeiter, die aus gesundheitlichen Gründen für untauglich zur Nachtarbeit erklärt worden sind, sind nach Möglichkeit zu einer ähnlichen Tätigkeit zu versetzen, zu der sie tauglich sind.

2. Falls die Versetzung zu einer solchen Tätigkeit nicht möglich ist, sind diesen Arbeitnehmern die gleichen Leistungen zu gewähren wie anderen Arbeitnehmern, die nicht in der Lage sind, zu arbeiten oder eine Beschäftigung zu erlangen.

3. Einem Nachtarbeiter, der vorübergehend für untauglich zur Nachtarbeit erklärt worden ist, ist der gleiche Entlassungs- oder Kündigungsschutz zu gewähren wie anderen Arbeitnehmern, die aus gesundheitlichen Gründen arbeitsunfähig sind.



Artikel 7

1. Es sind Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, daß für Arbeitnehmerinnen, die sonst Nachtarbeit verrichten müßten, eine Alternative zur Nachtarbeit zur Verfügung steht:

a) vor und nach der Niederkunft während eines Zeitraums von mindestens 16 Wochen, davon mindestens acht Wochen vor der voraussichtlichen Niederkunft;

b) während zusätzlicher Zeiträume, für die eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt wird, der zufolge dies für die Gesundheit der Mutter oder des Kindes notwendig ist,

i) während der Schwangerschaft,

ii) während einer bestimmten Zeit im Anschluß an den gemäß Unterabsatz a) festgelegten Zeitraum nach der Niederkunft, deren Länge von der zuständigen Stelle nach Anhörung der maßgebenden Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer festzulegen ist.

2. Die in Absatz 1 dieses Artikels erwähnten Maßnahmen können die Versetzung zu einer Tagesarbeit, soweit dies möglich ist, die Bereitstellung von Leistungen der Sozialen Sicherheit oder eine Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs umfassen.

3. Während der in Absatz 1 dieses Artikels erwähnten Zeiträume

a) darf eine Arbeitnehmerin nicht entlassen oder darf ihr nicht gekündigt werden, außer bei Vorliegen triftiger Gründe, die mit der Schwangerschaft oder der Niederkunft nicht zusammenhängen;

b) ist das Einkommen der Arbeitnehmerin auf einem Niveau zu halten, das für ihren Unterhalt und den ihres Kindes bei angemessener Lebenshaltung ausreicht. Diese Einkommenssicherung kann durch eine der in Absatz 2 dieses Artikels genannten Maßnahmen, durch andere geeignete Maßnahmen oder durch eine Verbindung dieser Maßnahmen gewährleistet werden;

c) darf eine Arbeitnehmerin die Vorteile hinsichtlich Status, Dienstalter und Beförderung, die mit ihrem regulären Nachtarbeitsplatz verbunden sein können, nicht verlieren.

4. Die Bestimmungen dieses Artikels dürfen keine Minderung des Schutzes und der Leistungen im Zusammenhang mit dem Mutterschaftsurlaub bewirken.



Artikel 8

Der Ausgleich für Nachtarbeiter in Form von Arbeitszeit, Entgelt oder ähnlichen Vergünstigungen hat der Natur der Nachtarbeit Rechnung zu tragen.



Artikel 9

Für Nachtarbeiter, und erforderlichenfalls für Arbeitnehmer, die Nachtarbeit verrichten, sind geeignete Sozialdienste bereitzustellen.



Artikel 10

1. Vor der Einführung von Arbeitsplänen, die den Einsatz von Nachtarbeitern erforderlich machen, hat der Arbeitgeber die in Betracht kommenden Arbeitnehmervertreter zu den Einzelheiten dieser Arbeitspläne, zu den Formen der Organisation von Nachtarbeit, die für den Betrieb und sein Personal am geeignetsten sind, sowie zu den erforderlichen Gesundheitsschutzmaßnahmen und Sozialdiensten anzuhören. In Betrieben, die Nachtarbeiter beschäftigen, hat diese Anhörung regelmäßig zu erfolgen.

2. Im Sinne dieses Artikels bedeutet der Ausdruck „Arbeitnehmervertreter" die auf Grund der innerstaatlichen Gesetzgebung oder Praxis im Einklang mit dem Übereinkommen über Arbeitnehmervertreter, 1971, als solche anerkannten Personen.





Artikel 11

1. Die Bestimmungen dieses Übereinkommens können durch die Gesetzgebung, durch Gesamtarbeitsverträge, Schiedssprüche oder gerichtliche Entscheidungen, eine Verbindung dieser Mittel oder auf eine andere den innerstaatlichen Verhältnissen und Gepflogenheiten entsprechende Weise durchgeführt werden. Falls sie nicht durch andere Mittel in Kraft gesetzt worden sind, sind sie durch die Gesetzgebung durchzuführen.

2. Soweit die Bestimmungen dieses Übereinkommens durch die Gesetzgebung durchgeführt werden, hat eine vorherige Beratung mit den maßgebenden Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer stattzufinden.



Artikel 12

Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.



Artikel 13

1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

2. Es tritt, zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind, in Kraft.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.



Artikel 14

1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren seit seinem erstmaligen Inkrafttreten durch förmliche Mitteilung an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Sie wird erst ein Jahr nach der Eintragung wirksam.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und binnen eines Jahres nach Ablauf der in Absatz 1 genannten zehn Jahre von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für weitere zehn Jahre gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf von zehn Jahren nach Maßgabe dieses Artikels kündigen.



Artikel 15

1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Ratifikationen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Ratifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, zu dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.



Artikel 16

Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zur Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Maßgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Ratifikationen und Kündigungen.



Artikel 17

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes erstattet der Allgemeinen Konferenz, wann immer er es für nötig erachtet, einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens und prüft, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Neufassung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 18

1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise neufaßt, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gilt folgendes:

a) Die Ratifikation des neugefaßten Übereinkommens durch ein Mitglied hat ungeachtet des Artikels 14 ohne weiteres die Wirkung einer sofortigen Kündigung des vorliegenden Übereinkommens, sofern das neugefaßte Übereinkommen in Kraft getreten ist.

b) Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefaßten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. In jedem Fall bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt für diejenigen Mitglieder in Kraft, die dieses, nicht jedoch das neugefaßte Übereinkommen ratifiziert haben.



Artikel 19

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise verbindlich.