Moderne Sklaverei

50 Millionen Menschen leben in moderner Sklaverei

Neueste Schätzungen von ILO, Walk Free und der Internationalen Organisation für Migration zeigen, dass Zwangsarbeit und Zwangsehen in den letzten Jahren signifikant zugenommen haben.

Pressemitteilung | 12. September 2022
© Trafficking in Persons Office USA
GENF (ILO News) — Laut den aktuellen globalen Schätzungen zu moderner Sklaverei lebten im Jahr 2021 50 Millionen Menschen in Formen moderner Sklaverei. Davon waren 28 Millionen Menschen in Zwangsarbeit und 22 Millionen in Zwangsehen gefangen.

Die Anzahl der Menschen, die in moderner Sklaverei leben, in den letzten fünf Jahren signifikant angestiegen. So befanden sich im Jahr 2021 zehn Millionen Menschen mehr in moderner Sklaverei als noch im Jahr 2016. Frauen und Kinder sind dabei weiterhin besonders gefährdet.

Moderne Sklaverei findet in beinahe jedem Land der Welt und über ethnische, kulturelle und religiöse Grenzen hinweg statt. Mehr als die Hälfte (52%) aller Fälle von Zwangsarbeit und ein Viertel aller Fälle von Zwangsehen fallen auf Länder mit mittlerem Einkommen im oberen Bereich und Ländern mit hohem Einkommen („upper-middle income countries“ und „high-income countries“ in der Klassifikation der Weltbank).

Zwangsarbeit

Der überwiegende Teil der Zwangsarbeit (86%) findet im privaten Sektor statt, staatlich angeordnete Zwangsarbeit macht 14% aller Fälle von Zwangsarbeit aus. 23% aller Fälle von Zwangsarbeit entfallen auf kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Frauen und Mädchen, 63% auf andere Sektoren. Fast 80% aller Personen, die von kommerzieller sexueller Zwangsausbeutung betroffen waren, sind Frauen oder Mädchen.

Fast jeder achte von Zwangsarbeit betroffene Mensch ist ein Kind (3,3 Millionen), davon die Hälfte in kommerzieller sexueller Ausbeutung.

Zwangsehen

Geschätzt 22 Millionen Menschen lebten im Jahr 2021 in Zwangsehen. Verglichen mit den Schätzungen aus dem Jahr 2016 müssen wir einen Zuwachs von 6,6 Millionen Fällen konstatieren

Dabei ist die tatsächliche Anzahl von Zwangsehen, vor allem derjenigen, die Kinder im Alter von 16 Jahren oder jünger betreffen, wahrscheinlich deutlich höher als die aktuellen Schätzungen vermuten. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die erfassten Zwangsehen einer engen Definition folgen und nicht alle Kinderehen erfasst werden. Kinderheirat wird als Zwangsehe aufgefasst, da Kinder nicht in der Lage sind, einer Heirat legal zuzustimmen.

Zwangsheirat ist eng mit über einen langen Zeitraum hinweg bestehenden patriarchalen Einstellungen und Praktiken verbunden und äußerst kontextspezifisch. Die große Mehrheit von Zwangsehen (mehr als 85%) resultiert aus familiärem Druck. Obgleich etwa zwei Drittel (65%) der Zwangsehen auf die Region Asien-Pazifik entfallen, ist der Anteil von Zwangsehen im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße in arabischen Staaten am größten. In dieser Region leben 4,8 von 1000 Einwohner*innen in Zwangsehen.

Migrantinnen und Migranten besonders von Zwangsarbeit bedroht

Wanderarbeiter*innen sind mehr als dreimal so häufig von Zwangsarbeit betroffen wie nicht migrierende erwachsene Arbeitnehmer*innen. Obwohl Arbeitsmigration überwiegend positive Auswirkungen auf Individuen, Haushalte, Gemeinschaften und Gesellschaften hat, zeigt diese Zahl, dass Migrant*innen besonders von Zwangsarbeit und Menschenhandel bedroht sind, sei es aufgrund irregulärer oder mangelhaft geregelter Migration oder aufgrund von unfairen und unethischen Anwerbungspraktiken.

„Es ist schockierend, dass sich die Situation mit Bezug auf moderne Sklaverei nicht verbessert. Das Fortbestehen dieser fundamentalen Verletzung von Menschenrechten kann in keiner Weise gerechtfertigt werden“, sagte der Generaldirektor der ILO, Guy Rider. „Wir wissen, was getan werden muss, und wir wissen, dass es möglich ist. Effektive nationale Gesetzgebung und Regeln sind von grundlegender Bedeutung. Aber Regierungen schaffen dies nicht allein. Internationale Standards bieten eine solide Basis und alle müssen gemeinsam am selben Strang ziehen. Gewerkschaften, Arbeitgeberorganisationen, Zivilgesellschaft und Bürgerinnen und Bürger haben eine wichtige Rolle zu spielen“.

António Vitorino, Generaldirektor der Internationalen Organisation für Migration, erläutert: „Dieser Bericht unterstreicht die Dringlichkeit, eine sichere und reguläre Migration zu gewährleisten. Die Verringerung der Gefährdung von Migranten in Bezug auf Zwangsarbeit und Menschenhandel hängt in erster Linie von nationalen politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen ab, die die Menschenrechte und Grundfreiheiten aller Migranten — inklusiver aller potenziellen Migranten — in allen Phasen des Migrationsprozesses unabhängig von ihrem Migrationsstatus achten, schützen und erfüllen. Die gesamte Gesellschaft muss zusammenarbeiten, um diese schockierenden Trends umzukehren, auch durch die Umsetzung des Globalen Pakts für Migration“.

Grace Forrest, Gründungsdirektorin von Walk Free: „Moderne Sklaverei ist das komplette Gegenteil von nachhaltiger Entwicklung. Dennoch, auch im Jahr 2022, ist sie weiterhin die Grundlage unserer globalen Wirtschaft. Moderne Sklaverei ist ein menschengemachtes Problem, das sowohl mit der historischen Sklaverei als auch mit fortwährenden strukturellen Ungleichheiten verbunden ist. In einer Zeit von sich gegenseitig verstärkenden Krisen ist genuiner politischer Wille der Schlüssel, um diese Menschenrechtsverletzungen zu beenden“.

Moderne Sklaverei beenden

Der Bericht schlägt eine Reihe von Maßnahmen vor, die — miteinander kombiniert und zügig umgesetzt — einen signifikanten Fortschritt in der Beendigung moderner Sklaverei darstellen können. Darunter fallen unter anderem eine Verbesserung der Gesetzgebung und Arbeitsinspektionen, sowie ihrer Implementierung; die Beendigung von staatlich angeordneter Zwangsarbeit; stringentere Maßnahmen zur Bekämpfung von Menschenhandel und Zwangsarbeit in Geschäftsbeziehungen und Lieferketten; die Ausweitung sozialer Sicherungsnetze und die Stärkung rechtlicher Garantien, inklusive einer Anhebung des legalen Heiratsalters auf 18 Jahre ohne Ausnahmen. Andere Maßnahmen adressieren das erhöhte Risiko von Zwangsarbeit und Menschenhandel für Wanderarbeiter*innen, indem faire und ethische Rekrutierung gefördert wird und vulnerable Gruppen, wie zum Beispiel Frauen und Mädchen, besonders unterstützt werden.

Hinweise für Redakteure
Moderne Sklaverei, wie sie im Bericht definiert wird, besteht aus zwei Hauptkomponenten – Zwangsarbeit und Zwangsheirat. Beide beziehen sich auf Situationen von Ausbeutung, die sich dadurch auszeichnen, dass eine Person sie nicht ablehnen oder verlassen kann, sei es aufgrund von Drohungen, Gewalt, Nötigung oder Missbrauch. Zwangsarbeit, definiert im ILO-Übereinkommen 29 über Zwangs- oder Pflichtarbeit aus dem Jahre 1930, ist «jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat». Der «private Sektor» oder «die Privatwirtschaft» umfasst alle Formen der Zwangsarbeit außer der staatlich angeordneten Zwangsarbeit.

Kontakt:
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ILO Department of Communication
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Walk Free
Martina Ucnikova
Email: mucnikova@walkfree.org
Tel: +61 458 029 760

International Organization for Migration

Kennedy Okoth
Email: Kokoth@iom.int
Tel: +41 22 717 9702