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Meine ersten 100 Tage in Bagdad – unter Lockdown-Bedingungen

Maha Kattaa erzählt von ihren Eindrücken im Irak unter den besonderen Umständen, die COVID-19 direkt zu Beginn der Eröffnung des neuen ILO Länderbüros mit sich bringt.

Nachricht | 8. Dezember 2020
Meine ersten 100 Tage in Bagdad – unter Lockdown-Bedingungen

Nach meinem ersten offiziellen Treffen in Bagdad wusste ich, es würde nicht einfach werden. Die hochranginge UN Beamtin lächelte mich mit einem müden Lächeln an. Sie schaute mein Kopftuch an und sagte „Du wirst es auf Grund deines Aussehens schwer im Irak haben. Du siehst aus wie eine lokale Mitarbeiterin und ich bin besorgt, dass man dich immer nur in einen anderen Raum führen wird, um mit den Assistenten an offiziellen Treffen teilzunehmen.“

Was sie nicht wusste ist, dass meine Erfahrung aus der Vergangenheit eine ganz andere war, dass mein Aussehen wie eine Ortsansässige mir schon oft geholfen hatte, sodass Menschen mir eher ihre Sorgen und Sehnsüchte erzählen. Die vielen kleinen Kämpfe, die ich nur auf Grund meiner Herkunft und meines Aussehens geführt habe, haben meine persönliche und berufliche Resilienz nur erhöht. Daher habe ich ihr in diesem Moment ein breites Lächeln entgegengebracht und mit Vertrauen geantwortet: „Für mich ist das eine Stärke, keine Schwäche“.

Ich habe gerade die ersten 100 Tage in meiner Position als erste ILO Länderkoordinatorin für den Irak verbracht. Zusätzlich bin ich die ILO Spezialistin für Resilienz und Krisenreaktion. In dieser Position verwalte ich ein Programmportfolio von mehreren Millionen US Dollar. Es dient dazu, menschenwürdige Arbeit für vulnerable Gruppen, Binnenvertrieben wie auch Syrische Geflüchteten in einem Land zu fördern, dass Heimat für hunderttausende Syrer ist – nun auch für mich.

Dafür lebe und arbeite ich auf dem Gelände der Vereinten Nationen, in der so genannten Grünen Zone.

Ich werde regelmäßig von Sirenen geweckt, wenn Mörsergranaten auf die Zone fallen - etwas, an das ich mich noch nicht gewöhnt habe. Bisher habe ich das Gelände daher auch nur zweimal verlassen, um den Minister für Arbeit und Soziales des Landes zu treffen. Die aktuelle Sicherheitslage in Verbindung mit der COVID-19-Pandemie bedeutet, dass ich meine gesamte Arbeit aus der Ferne erledige.

Die Arbeit vor Ort begann nur zwei Monate nach der Unterzeichnung des ersten Länderprogrammes für menschenwürdige Arbeit im Irak. Ich war aufgeregt. Der Irak hat ein großes Potenzial menschenwürdige Arbeit und inklusive Arbeitsmärkte zu gestalten. Nach Jahren des Konfliktes, der Unruhen und der Vertreibung gibt es einen großen Bedarf für Programme, die einen Übergang von humanitärer Hilfe auf Entwicklungszusammenarbeit einleiten – eine Arbeit, welche die ILO in anderen Regionen der Welt schon erfolgreich gemeistert hat.
 
Aber die Situation im Irak ist anders, als ich es erwartet hatte, und ich musste mir eingestehen, dass die Herausforderungen sehr viel größer sind, als ich sie mir im Vorhinein vorgestellt hatte.

Bei meinem ersten Besuch im „Büro“ stellte ich überrascht fest, dass es nur aus einem Tisch und einem Stuhl bestand, in einem offenen Raum, der mit Dutzenden anderen Mitarbeitern der UN-Agentur geteilt wurde. Ich beendete diesen ersten Tag frustriert und verwirrt. Wie kann ich in einem solchen Umfeld arbeiten, in dem Bewegungen außerhalb des UN Geländes begrenzt sind, logistische Unterstützung fehlt und in dem alle Augen auf mich gerichtet sind, eine Frau hineingeworfen in diese neue Welt, dem Anschein nach ohne irgendeine Aussicht auf Erfolg?

An meinem zweiten Tag im Irak wachte ich morgens sehr früh auf und grübelte über meine Optionen. Ich könnte aufgeben und wieder gehen, oder ich würde Mittel und Wege finden, mich an die Situation anzupassen und Erfolge haben. Ich habe mich für einen Ansatz entschieden, der drei Schritten folgt:
  1. Schaffe ein alternatives Umfeld, dass mich und die Mission der ILO besser repräsentiert
  2. Mache das Beste aus virtueller Kommunikation
  3. Lasse Herausforderungen zu Möglichkeiten für Erfolg werden

Der Ausbruch von COVID-19 bedeutete, dass ich nicht mehr in mein Büro gehen konnte. Zu Hause stellte ich einen Tisch in mein kleines Wohnzimmer und hängte eine Karte des Irak hinter mich an die Wand. Mit diesem bescheidenen ersten Schritt begann ich darüber nachzudenken, wie ich diese Zeit des Aufruhrs, der Unsicherheit und der Abgeschiedenheit in eine Erfolgsgeschichte verwandeln könnte.

Trotz der ungewöhnlichen Umstände haben sich schon einige Erfolge eingestellt. Ich habe vier Umfragen durchgeführt, um die Auswirkungen der Pandemie auf Arbeiter und Unternehmen im Libanon, Jordanien und dem Irak sowie die Folgen für syrische Geflüchtete besser zu verstehen.

Ich habe Projekte im Wert von 40 Mio. USD entworfen und vorbereitet, um menschenwürdige Arbeit und Beschäftigung in Jordanien, im Libanon und im Jemen (sowie im Irak) zu fördern. Zudem kann ich auch aus der Ferne an Seminaren und Fernsehinterviews teilnehmen, in denen die Arbeit der ILO und die Auswirkungen von COVID-19 auf die regionalen Arbeitsmärkte diskutiert werden.

Außerdem haben wir zwei Vorverträge mit dem jordanischen Arbeitsministerium unterschrieben, sowie sechs weitere mit anderen Regierungsorganisationen in Jordanien und dem Irak.

Wenn ich auf meinen ersten Tag und mein Treffen mit der UN-Beamtin zurückblicke, die an mir gezweifelt hat, bin ich stolz darauf, ihr das Gegenteil bewiesen zu haben. Ich habe erreicht, was vor 100 Tagen unmöglich schien. Die Mission der ILO im Irak ist nun Realität, und mit unserem Auftrag, menschenwürdige Arbeit und soziale Gerechtigkeit zu fördern, sind wir meines Erachtens auf dem richtigen Weg, um den am stärksten gefährdeten Menschen hier zu helfen.