Wiederaufbau Gaza / Arbeitslosigkeit

Der Gazakonflikt vom Sommer 2014 vernichtete massiv Arbeitsplätze für Palästinenser

Eine neue ILO-Studie zeigt auf, inwieweit die israelischen Militäroperationen im letzten Gazakonflikt durch Zerstörung von Land, Infrastruktur und Sachwerten massive Arbeitsplatzvernichtung im palästinensischen Privatsektor verursachte.

Nachricht | 24. März 2015
Beirut (ILO News) – Die israelische Militäroperation während des Gazakonflikts im Sommer 2014 hatte - neben den menschlichen Opfern - massive Arbeitsplatzverluste im palästinensischen Privatsektor zur Folge. Dies erhöhte die Arbeitslosen- und Armutsrate auf ein besorgniserregendes Niveau, so eine neue ILO-Studie.

Der durch die Juli-August Operationen des israelischen Militärs verursachten Zerstörungen erhöhte die Arbeitslosenrate in Gaza um ungefähr 4,3 Prozentpunkte auf geschätzte 36,9 Prozent, basierend auf den Arbeitslosendaten für Gaza von 2013.

Die Studie mit dem Titel „The Disemployment Impact of the 2014 Conflict in Gaza: An ILO Damage Assessment and Recovery Strategy“, untersucht, inwieweit die anhaltenden israelischen Militäroperationen in der palästinensischen Enklave den Verlust von Arbeitsplätzen verursacht haben oder inwieweit sich Arbeitsplatzvernichtung durch die Zerstörung von Produktionsfaktoren Land, Infrastruktur, Kapital und Betriebsmittel, die normalerweise von den Bewohnern Gazas im Laufe ihres Arbeitstages im Privatsektor genutzt werden, nachweisen lassen.

Die Arbeitsplatzvernichtung bezieht sich auf die Daten des Arbeitsmarkts in Gaza in dem Ausmaß, wie sie vor der israelischen Militäroperation existiert hat.
„Zusätzlich zu der beispiellosen Anzahl der verletzten und getöteten Menschen und weitgehender Zerstörung von Wohnungen, vernichteten die intensiven Militäroperationen ein Teil der Produktionsanlagen und die Güter, die Menschen benötigen, um Waren zu produzieren und Dienstleistungen bereitzustellen. Damit wurde auch ihre Lebensgrundlage zerstört“, so Salem Ajluni, Autor des Berichts.

„Gaza litt bereits vor der israelischen Intervention unter einer der höchsten Arbeitslosenraten weltweit, bedingt durch die jahrzehntelange Okkupation, begrenztem Ressourcenzugang und Grenzabriegelungen. Die Isolierung der Bewohner Gazas trug zur Verarmung und Gefährdung bei“, so Mary Kawar, Beschäftigungsexpertin des ILO-Regionalbüros der Arabischen Staaten.

„Gaza befand sich bereits in einer Umwelt- und humanitären Krise bevor die Militärinterventionen begannen. Geschätzt 67 Prozent der Arbeiter lagen mit ihrem Verdienst bereits unter dem Mindestlohn. Da Erwerbseinkommen die Hauptquelle des Einkommens für die große Mehrheit der Haushalte in Gaza ist, überrascht es nicht, dass 80 Prozent der Einwohner Gazas von Hilfe abhängig sind, 57 Prozent haben eine unsichere Nahrungsmittelversorgung“, so Kawar.

Auf einer Konferenz im Oktober in Kairo, an der auch die ILO teilnahm, sagten internationale Geber 4,5 Milliarden US-Dollar zum Wiederaufbau zu. Nach UN-Angaben hat sich der größte Teil der Hilfe noch nicht materialisiert. Der vorliegende ILO-Bericht hebt den dringenden Bedarf der Umsetzung des Gaza-Aufbauprozesses sowie einer langfristigen Entwicklungsvision für die Palästinensischen Gebiete hervor.

Arbeitsplatzvernichtung in Zahlen


Der Bericht schätzt, dass aufgrund der Zerstörung von Produktivvermögen durch israelische Operationen in der Enklave 17.200 Arbeitsplätze vernichtet wurden. Diese Angaben basieren auf ersten Schätzungen zu technischen Schäden an Arbeitsplätzen, wie sie von der palästinensischen Verwaltung zur Verfügung gestellt wurden.

Diese Zahl entspricht ungefähr den 11,4 Prozent der Arbeiter, die 2013 im privaten Sektor Gazas gearbeitet haben. Dies sind 6,4 Prozent der Gesamtbeschäftigung Gazas.
Dieser Prozess verursachte eine Erhöhung der allgemeinen Rate der Arbeitslosigkeit im Gazastreifen von durchschnittlich 32,6 Prozent 2013 auf geschätzte 36,9 Prozent nach der Militärintervention.

Dennoch können die Schätzungen sich als zu niedrig erweisen, da sie einen Höchststand der Arbeitslosigkeit in der ersten Hälfte des Jahres 2014 nicht berücksichtigen. Die Zahl von 36,9 Prozent unterstellt, dass alle Mitarbeiter im öffentlichen Dienst ihren Arbeitsplatz behalten.

Rückgang des Bruttoinlandprodukts


Die Offensive hat einen geschätzten Verlust von ungefähr 508.000 US-Dollar pro Arbeitstag seit dem Ende der Kampfhandlungen im August 2014 verursacht und zwar für jeden Tag, an dem die zerstörten Produktionsmittel nicht wieder hergestellt wurden. Dies summiert sich auf ungefähr 80 Millionen US-Dollar für die letzten sechs Monate.

„Die sich hinziehenden Verluste bei Beschäftigung und in der Produktion, die durch die technischen Schäden herbeigeführt wurden, haben als solche schon eine Entsprechung wie eine tiefe Rezession, was die Auswirkungen auf die Haushaltseinkommen betrifft. Der Unterschied hier ist, dass Gaza sich bereits in einer Krise befand. Die Folgen der Zerstörung verschärfte eine bereits schlimme Situation“, so Salem Ajluni.

Die von der Offensive betroffenen Bereiche des privaten Sektors umfassen die Agrarwirtschaft, Gewerbe, Bauwirtschaft, Handel, Hotel und Restaurants, Transport und Lagerung, Information und Kommunikation, Bildungswesen, Gesundheits- und andere Dienste.

Die Studie belegt auch, dass 13 Prozent der Häuser zerstört wurden und mehr als 108.000 Menschen obdachlos wurden. Dies führt dazu, dass grundlegende Bedürfnisse nicht befriedigt werden können, was den wirtschaftlichen Erholungsprozess und den Beschäftigungsaufbau für bestimmte gesellschaftliche Gruppen, wie Heimarbeiter behindert. Frauen sind dabei überproportional betroffen.

Eine Strategie für die Zukunft


Der vorliegende Bericht ist der ILO- Beitrag einer „Grundlegenden Bedarfsanalyse“ (Detailed Needs Assessment, DANN,) die auf Nachfrage der palästinensischen Verwaltung an verschiedene UN-Agenturen, die Europäische Union und die Weltbank gerichtet wurde. Er dient dem Zweck, einen Wiederaufbauplan für Gaza nach dem Konflikt vorzulegen, die Arbeiten zu koordinieren und eine langfristige Entwicklungsperspektive für die Enklave zu beschreiben.

Der Bericht bietet eine zukunftsorientierte Strategie zum Wiederaufbau Gazas durch Hilfestellung bei sofortiger- und langfristiger Arbeitsplatzbeschaffung, durch Wiederaufbau von Unternehmen und die Förderung von Selbständigkeit, Aus- und Weiterbildung sowie Institutionalisierung der Beschäftigungskoordination.

„Die ILO antwortet auf die Wiederaufbaukrise in Gaza mit erneutem Impetus. Sie wird die Aktivitäten in den besetzten palästinensischen Gebieten ausweiten und mit neuen nationalen Prioritäten und internationalen Maßnahmen abstimmen“, so Frank Hagemann, geschäftsführender ILO-Regionaldirektor für die arabischen Staaten. „Die Antwort auf die Zerstörung Gazas im Sommer 2014 ist von herausragender Bedeutung. Wir werden auch unser Arbeit des erweiterten ILO- Programms für Menschenwürdige Arbeit für alle Palästinenser fortsetzen“.

Shaaban Sukkar, ein arbeitsloser Vater von sieben Kindern beschreibt, wie er und seine sieben Brüder ihre Lebensgrundlage verloren, als die Anlage der Nussröstungsfabrik und deren Fahrzeuge durch schweres israelisches Bombardement zerstört wurden. Sukkar und drei seiner Brüder verloren durch die Beschießung ihr Zuhause über der Fabrik.