Global Wage Report 2014/15

Mindestlohn: ein richtiger Schritt

Neuer „Global Wage Report 2014/2015" der ILO warnt vor zu schwachem Lohnwachstum – global und in Deutschland. Mindestlohn als zentrales Instrument, diesen Trend zu stoppen.

Nachricht | 5. Dezember 2014
Veränderungen der Löhne weltweit Jahr für Jahr
Genf (ILO-News) - Verglichen mit einer Rate von 2,2 Prozent für 2012 hat sich das Lohnwachstum im Jahr 2013 auf 2,0 Prozent verlangsamt. Vor der Krise betrug der Vergleichswert 3,0 Prozent, so der jüngste ILO-Bericht „Global Wage Report 2014/15“.

Dieses bescheidene Wachstum der Löhne weltweit wurde fast völlig von den aufstrebenden G20 Volkswirtschaften getragen; hier stiegen die Löhne um 6,7 Prozent 2012 und um 5,9 Prozent im Jahr 2013.

Demgegenüber schwankte in den Industrieländern das Lohnwachstum um 1 Prozent seit 2006 und verlangsamte sich dann weiter in den Jahren 2012 und 2013 auf nur noch 0,1 bzw. 0,2 Prozent – ein Trend, von dem prinzipiell auch Deutschland mit seinem moderaten Lohnwachstum von 2,7 Prozent zwischen 2007 und 2013 betroffen ist.

„In der Gruppe der Industrieländer hat sich das Lohnwachstum in den letzten zwei Jahren fast auf null verlangsamt, aktuelle Entwicklung zeigen in einigen Ländern sogar einen Rückgang“, sagte Sandra Polaski, ILO-Vize-Generaldirektorin für Politik. „Dies hat die Wirtschaft insgesamt belastet, führte in den meisten Ländern zu schleppender privater Nachfrage und einem steigenden Deflations-Risiko in der Eurozone“, so Sandra Polaski.

„ Die letzte Dekade zeigte eine langsame Annäherung der Durchschnittslöhne in Schwellen- und Entwicklungsländern an die der Industrieländer. Die Löhne in Industrieländern bleiben aber im Durchschnitt dreimal höher als in Schwellen- und Entwicklungsländern“.
Änderungen der Löhne in verschiedenen Weltregionen

Für Entwicklungsländer verzeichnet der Bericht enorme Unterschiede zwischen den Regionen.

So wuchsen in Asien die Löhne um 6,0 Prozent, in Südosteuropa und Zentralasien um 5,8 Prozent, aber nur um 0,8 Prozent in Lateinamerika und der Karibik.

Im Mittleren Osten haben sich die Löhne um 3,9 Prozent erhöht, aber nur um 0,9 Prozent in Afrika.

Produktivitätswachstum übertrifft Lohnwachstum


Die wachsende Schere zwischen Löhnen und Produktivität
In den Industrieländern übersteigt die Arbeitsproduktivität - (der Wert der Waren und Dienstleistungen, der pro Arbeitnehmer produziert wird) - weiterhin das Lohnwachstum, so auch in Deutschland zwischen 1999 und 2013.

In Deutschland spiegelt sich die wachsende Kluft zwischen Löhnen und Produktivität unverändert in einem abnehmenden Anteil der Arbeit gegenüber Kapitaleinkünften am Bruttosozialprodukt, trotz partieller Verbesserungen seit 2007.

Dieser Trend zeigt, dass Arbeitnehmer und ihre Haushalte einen kleineren Teil des wirtschaftlichen Wachstums erhalten, während Kapitaleigner eher profitieren.

Ursachen für wachsende Ungleichheit


Der Bericht analysiert die jüngsten Trends zur Ungleichheit bei Haushaltseinkommen und beleuchtet insbesondere die Rolle der Löhne.

In Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern stellen Löhne gleichermaßen die Hauptquelle des Haushaltseinkommens dar. Dies trifft besonders auf Haushalte der Mittelschicht zu, während sich die Einkommen der oberen 10 Prozent der Haushalte mit höheren Einkommen und die unteren 10 Prozent der Haushalte mit niedrigem Einkommen eher aus anderen Quellen speisen.

In den Industrieländern macht das Lohneinkommen der Haushalte mit mindestens einer Person im arbeitsfähigen Alter 70 bis 80 Prozent des Haushaltseinkommens aus.

In Schwellen- und Entwicklungsländern, wo selbständige Arbeit häufiger vorkommt, ist der Anteil der Löhne am Haushaltseinkommen gewöhnlich kleiner. Die Bandbreite bewegt sich von ungefähr 50 bis 60 Prozent in Mexiko, in der Russischer Föderation, Argentinien, Brasilien und Chile bis zu 40 Prozent in Peru oder 30 Prozent in Vietnam.

„In vielen Ländern beginnt die Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt, also bei der Verteilung von Löhnen und Beschäftigung“.

Trends in der Ungleichheit der Haushaltseinkommen in ausgewählten Ländern
So waren in der Mehrheit der Länder mit wachsender Ungleichheit, wie in den Vereinigten Staaten und Spanien, Änderungen bei Löhnen und Beschäftigung die Hauptursache.

In Ländern, in denen Ungleichheit abnahm, wie in Brasilien, Argentinien und der Russischen Föderation, waren Löhne und höhere Beschäftigung dafür entscheidend.

Der Bericht zeigt, dass besonders Frauen, Migranten und Arbeiter in der informellen Wirtschaft unter Lohnungleichheit leiden. Diese Lohnkluft zwischen verschiedenen Gruppen von Arbeitnehmern trägt ebenso zur allgemeinen Ungleichheit bei.

Herausforderungen für die Politik


"Lohnstagnation muss im Sinne von mehr Fairness und wirtschaftlichem Wachstum angegangen werden."

Sandra Polaski
"Da die allgemeine Ungleichheit hauptsächlich durch Lohnungleichheit verursacht wird, ist die Arbeitsmarktpolitik gefragt".

„Fiskalische Umverteilungsmechanismen, Steuern und eine Politik der sozialen Absicherung tragen zur Lösung bei“, fügt Sandra Polaski hinzu, „können aber alleine das Problem der Ungleichheit nicht beseitigen. Eine umfassende Strategie muss auch Mindestlöhne, die Stärkung von Kollektivvereinbarungen, die Beseitigung von Diskriminierung gefährdeter Gruppen, eine progressive Besteuerung und angemessene soziale Sicherungssysteme beinhalten."

Entsprechend begrüßt die ILO die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland ab 2015, wo in den unteren Einkommensgruppen die Löhne derzeit nur etwa 10 Prozent des Haushaltseinkommens ausmachen – gegenüber rund 80 Prozent Einkommen aus Sozialtransfers. Auch diese Zahlen zeigen: Höhere Löhne durch die Einführung des Mindestlohnes ist nicht bloß Rezept gegen soziale Ungleichheit und für einen gerechteren Anteil am Produktivitätswachstum. Der Mindestlohn hilft auch, Wachstumskräfte freizusetzen – durch Steigerung der Kaufkraft und Entlastung der öffentlichen Haushalte für Investitionen.

„Eine wirksame Unterstützung besonders der Klein- und mittelständischen Betriebe, die ihnen hilft, zu wachsen und Arbeitsplätze zu schaffen, ist ebenfalls dringend geboten. Viele Länder könnten mehr tun, um Zugang zu Krediten zu erleichtern und Unternehmensgründungen zu fördern“, so Polaski.

Darüberhinaus verweist der Report auf die Notwendigkeit abgestimmter Strategien auf internationaler Ebene.

Wenn alle Länder versuchten, ihre Exporte durch Senkung der Löhne und Kürzungen der Sozialleistungen zu steigern, führte dies letztlich nur zu schrumpfenden Erträgen und schwerwiegenden Handelseinbrüchen.