ILO-Studie

ILO: Entwicklungsländer wählen soziale Sicherheit vor fiskalischer Konsolidierung

Eine ILO-Studie, die im Vorfeld des Treffens der Wirtschafts- und Sozialräte in Seoul, Südkorea, erstellt wurde, sieht unterschiedliche Trends: Während sich viele Länder auf fiskalische Konsolidierung und geringere Sozialausgaben zubewegen, weiten zahlreiche Entwicklungsländer ihre sozialen Schutzsysteme aus.

Nachricht | 17. November 2014
Genf (ILO News) – Während erwartet wird, dass eine Mehrzahl der Länder weltweit 2015 und danach ihre öffentlichen Ausgaben zurückfahren, werden sich andere in die entgegengesetzte Richtung bewegen und soziale Schutzmaßnahmen ausweiten. Dies geht aus einer neuen Studie der Internationalen Arbeitsorganisation mit dem Titel „Social protection global policy trends 2010-2015: From fiscal consolidation to expanding social protection: Key to crisis recovery, inclusive development and social justice“ hervor.

Demnach wollen 120 Länder die öffentlichen Ausgaben für 2015 senken, davon sind 86 Entwicklungsländer. Für 2016 wird ein Anstieg auf 131 Länder erwartet.

Während viele Länder öffentliche Ausgaben reduzieren, weiten die meisten Länder mittleren Einkommens ihr soziales Schutzsystem aus. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf Armutsreduzierung und Ungleichheiten, zusätzlich tragen sie zudem zu einer nachfrageorientierten Wachstumsstrategie bei.

„Darin zeigt sich eine wirkungsvolle Entwicklungslektion“, so Isabel Ortiz, Direktorin der ILO-Abteilung für Soziale Sicherheit. „Wie diese Studie zeigt, sind selbst in den ärmeren Ländern Optionen vorhanden, um den fiskalischen Raum für soziale Sicherheit auszuweiten“.

Länder wie Argentinien und Südafrika haben in den vergangenen Jahren allgemeine Kindergeldzahlungen eingeführt. Andere, wie Bolivien, Botswana, Brasilien, China, die Malediven, Namibia, Panama, Südafrika, Swasiland und Timor-Leste haben eine (fast) umfassende Deckung für Renten erreicht. Viele andere haben Sozialtransfers für Arbeitslose, Mütter, Kinder und ältere Menschen eingeführt.

Einige Länder niedrigen Einkommens haben ebenfalls die soziale Sicherheit ausweiten können: durch eng begrenzte zeitliche soziale Netze, auf sehr geringem Niveau. So sind in vielen dieser Länder Diskussionen für den Aufbau übergreifender sozialer Basisschutzsysteme zu erkennen.

Auswirkungen auf Beschäftigung, Armut und Ungleichheit


Der weltweite Trend zu Einsparungen kann die Beschäftigungskrise und Ungleichheiten verstärken, so der Bericht. In Europa haben die Maßnahmen zum Anstieg der Armut oder zur sozialen Ausgrenzung beigetragen. Dies betrifft nun 123 Millionen Menschen oder 24 Prozent der Bevölkerung der Europäischen Union.

Es wird erwartet, dass in Entwicklungsländern, die nicht in soziale Sicherheit investieren, die Anpassungsmaßnahmen zu negativen Auswirkungen auf Millionen von Haushalten führen wird, die mit weniger und schlechter bezahlten Arbeitschancen, höheren Lebensmittel- und Benzinkosten und reduziertem Zugang zu öffentlichen Leistungen seit Beginn der Krise zu kämpfen haben.

Die ILO-Studie, die im Vorfeld des Treffens der Wirtschafts- und Sozialräte in Seoul, Südkorea erstellt wurde, baut auf der ILO-Veröffentlichung „World Social Protection Report 2014/15: Building economic recovery, inclusive development and social justice“ auf und nutzt die jüngsten fiskalischen Projektionen des Internationalen Währungsfonds des „World Economic Outlook“ vom Oktober 2014.

Die Studie analysiert politische Strategien zur sozialen Sicherheit zwischen den Jahren 2010 und 2015. Es zeigt sich, dass in der ersten Phase der Krise (2008-09) Pläne zur fiskalischen Stimulation in ungefähr 50 Ländern durchgeführt wurden und sozialer Schutz eine wichtige Rolle spielte.

In der zweiten Phase der Krise jedoch (von 2010) schlugen viele europäische und andere Länder den Weg fiskalischer Konsolidierung ein und verringerten die Ausgaben frühzeitig, obwohl es einen dringend Bedarf zur Unterstützung der schwächsten Bevölkerungsgruppen gab.

Eine fünfte Gruppe von Ländern machen überhöhte fiskalische Kürzungen durch und streichen die öffentlichen Ausgaben unter dem Niveau vor der Krise. Dies betrifft Länder mit gravierenden Entwicklungsherausforderungen, wie Eritrea, Sudan, Jemen, Sri Lanka, Äthiopien, Nigeria, Guinea-Bissau, Guatemala, Burundi und andere.

Anpassungsmaßnahmen bedeuten die Streichung von Nahrungs- und Treibstoffsubventionen, Streichungen oder Deckelung bei Löhnen, einschließlich für medizinisches Personal und Sozialarbeiter, noch weniger Menschen erhalten Sozialleistungen. Reformen der Renten- und Gesundheitsversorgungssysteme werden durchgeführt.

Regierungen prüfen auch Maßnahmen auf der Einkommensseite, beispielsweise erhöhte Verbrauchersteuern, wie Mehrwertsteuer auf Produkte des täglichen Bedarfs, die arme Haushalte besonders belasten.

„In vielen Ländern sind politische Antworten auf die globale Krise hinter verschlossenen Türen getroffen worden: als technokratische Lösungen, mit begrenzter oder keiner Beratung. Dies hat oftmals zu mangelnder Verantwortung für öffentlichen Besitz, zu zivilem Ungehorsam und insgesamt zu nachteiligen sozio-ökonomischen Auswirkungen geführt“, so Isabel Ortiz.

„Regierungen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer und die Zivilgesellschaft müssen in einem nationalen Dialog zusammenfinden, um eine sozial verantwortbare Erholung sicherzustellen, die inklusives Wachstum, sozialen Schutz und soziale Gerechtigkeit einschließt“, so Ortiz.

Die ILO-Empfehlung Nr. 202 über sozialen Basisschutz, 2012 umfasst einen Konsens zwischen Regierungen, Arbeitgeber-und Arbeitnehmerorganisationen aus 185 Ländern für den Bedarf einer Ausweitung von sozialer Sicherheit. Der Ausbau von sozialem Basisschutz wurde auch von den G20 und den Vereinten Nationen bekräftigt.