Was ist aus Ihrer Sicht die zentrale Botschaft des Berichts?
Die Leitidee der ILO bei ihrer Gründung vor einhundert Jahren bleibt auch zukünftig richtig: Dauerhafter Frieden und Stabilität in und zwischen den Gesellschaften kann auf Dauer nur auf sozialer Gerechtigkeit aufgebaut werden. Heute stehen wir vor fundamentalen Umbrüchen in der Arbeitswelt, die zu Disruptionen auf den Arbeitsmärkten führen, aber auch unsere Gesellschaften und das internationale Gefüge erschüttern können. Die Auswirkungen sind in unterschiedlichen Ländern verschieden, aber alle Weltregionen sind betroffen. Sie führen nicht zu einem „Ende der Arbeit“, aber zu einer massiven Veränderung von Arbeit und den damit einhergehenden Qualifikationsanforderungen. Es wird in manchen Bereichen Arbeitsplatzverluste geben und neu entstehende Arbeitsplätze werden ungleich zwischen Branchen und Regionen verteilt sein. Diese fundamentale Transformation braucht daher eine aktive Gestaltung, um der Gefahr wachsender Ungleichheit entgegen zu treten.
Der „Mensch im Mittelpunkt“ ist daher das Leitmotiv der Empfehlungen der Globalen Kommission zur Zukunft der Arbeit. Das gilt vom anzustrebenden Wirtschaftsmodell bis zu unserer Forderung, dass in der Arbeitswelt der Mensch die Letztentscheidung behalten muss und diese nicht an Künstliche Intelligenz abgegeben werden darf.
Dazu gehört aber auch, dass es grundlegende Rechte geben muss, die allen Menschen zustehen, die von ihrer Arbeit leben – unabhängig von ihrem rechtlichen Beschäftigungsstatus und auch für neue Beschäftigungsformen. Deshalb fordert unser Bericht eine „Allgemeine Garantie für Arbeitende“ zu etablieren, die sowohl die ILO-Kernarbeitsnormen beinhaltet, als auch grundlegende Arbeitsbedingungen. Für alle Formen von Arbeit müssen die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen gelten, ebenso die Beseitigung der Zwangsarbeit, die Abschaffung der Kinderarbeit sowie das Verbot der Diskriminierung. Aber auch ein zur Bestreitung des Lebensunterhaltes angemessenen Lohn, Höchstarbeitszeiten sowie sichere und gesunde Arbeitsplätze müssen für alle garantiert werden.
Muss sich der soziale Dialog an das digitale Zeitalter anpassen? Wenn ja, wie?
Der soziale Dialog ist und bleibt der Schlüssel, um die Transformation(en) in der Arbeitswelt zu gestalten und zu bewältigen. Es gibt kein besseres Instrument und gerade wir in Deutschland haben damit ja sehr gute Erfahrungen gemacht – zuletzt bei der Bewältigung der Weltwirtschaftskrise vor zehn Jahren. Wir brauchen Akteure, die nah an den tatsächlichen Veränderungen sind, aber dennoch das große Ganze im Blick haben. Dafür sind die Sozialpartnerorganisationen prädestiniert, aber sie müssen sich auch selbst verändern, um diesen Anforderungen auch zukünftig gerecht zu werden. Arbeitgeberverbände müssen unterschiedliche Arbeitgeber vertreten und zukünftig vielleicht auch Arbeitsvermittlungsplattformen. Und Gewerkschaften müssen verstärkt auch Crowdworker und andere neue Arbeitsformen organisieren, gegebenenfalls auch grenzüberschreitend im Netz.
Welche internationalen Leitplanken sind notwendig um neuen Arbeitsformen auf digitalen Plattformen zu begegnen?
Wir sollten unterscheiden zwischen Plattformen, bei denen weiterhin ein Ortsbezug besteht – wie bei Fahrdiensten oder Essens-Kurieren – und Plattformen, bei denen Arbeit nur in Form von Daten und grenzüberschreitend ausgetauscht wird – wie bei Programmierung, Buchhaltung oder dem Auswerten von Röntgenbildern. Nur für letztere sind internationale Leitplanken nötig. Hier greifen nationale Regelungen nicht, da sie in anderen Ländern unterlaufen werden können. Deshalb sind hier internationale Standards erforderlich, die verpflichtend in den ILO-Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen. Ähnliche Regeln gibt es bereits für die Seeschifffahrt. Deshalb sollte für globale Arbeitsmarktplattformen ein Mechanismus ähnlich der Maritime Labour Convention der ILO geschaffen werden. Durch diese werden nicht nur internationale Standards mit verbindlichen Umsetzungsfristen gesetzt, sondern der Bedarf neuer Regeln wird permanent in tripartiten Strukturen überprüft. Da sich Arbeitsmarktplattformen schnell weiterentwickeln, ist dies ein sehr gutes Vorbild.
Welche konkreten Maßnahmen empfiehlt der Report der ILO selbst, um auf die Zukunft der Arbeit vorbereitet zu sein?
Die ILO muss aus unserer Sicht eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der Arbeit der Zukunft spielen, denn viele Entwicklungen in der Arbeitswelt sind globaler Natur. Deshalb empfehlen wir der ILO, eine mit Experten besetzte Monitoring-Gruppe zur Zukunft der Arbeit einzurichten, die laufend Veränderungen beobachtet und Gestaltungsempfehlungen gibt. Nur so wird die ILO in der Lage sein ihre Stakeholder zu ermutigen, eine zeitgemäße Agenda für die Zukunft der Arbeit umzusetzen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und auch zukünftig sicherstellt, dass Arbeit keine Ware ist. Außerdem muss sich die ILO im multilateralen System für menschenwürdige Arbeit stark machen, und sich beispielsweise in der Handelspolitik, sowie gegenüber und in Kooperation mit der Weltbank, dem IWF und der WTO. Die Verfassung der ILO und die Erklärung von Philadelphia bilden immer noch den ehrgeizigsten globalen Sozialvertrag der Geschichte. Diesen Vertrag jetzt unter veränderten Umständen mit neuem Leben zu erfüllen ist eine große Chance für die ILO.