Hintergrund: Der Global Wage Report 2018/19 – eine Einordnung

Löhne sind ein wichtiger Gradmesser für gute Arbeit. Zum sechsten Mal hat die ILO nun eine weltweite Bestandsaufnahme der Lohnentwicklung vorgenommen. Der Global Wage Report, ein Flagship der ILO, zeigt, wohin es mit den Löhnen geht. Im zweiten Teil des Berichts untersucht er das noch immer massive Lohngefälle zwischen Männern und Frauen – und weist Handlungsoptionen aus.

Artikel | 6. Dezember 2018
Daten aus 136 Ländern zeigen: Die inflationsbereinigte Lohnentwicklung belief sich 2017 auf nur noch 1,8 Prozent – deutlich weniger als im Vorjahr (2,4 Prozent) und der niedrigste Wert seit dem Finanzkrisenjahr 2008. Rechnet man China heraus, das mit seiner Bevölkerungsgröße und rapidem Lohnwachstum maßgeblich die Werte beeinflusst, beträgt das weltweite Reallohnwachstum sogar nur 1,1 Prozent. Gerade in den Hocheinkommensländern ist in den letzten 20 Jahren die Produktivität stärker gewachsen als die Löhne.


Stagnation der Löhne in den Industrienationen, Wachstum in Schwellenländern

In den Industrieländern der Gruppe der G20 stagniert der Lohnzuwachs beinahe mit einem Anstieg von nur 0,4 Prozent für 2017 (nach 0,9 Prozent 2016 und 1,7 Prozent 2015). Insbesondere Deutschland und Frankreich zeigen ein geringes Wachstum, Reallohnrückgänge gibt es in Italien und Spanien, im Gegensatz zu einem deutlichen Plus in Osteuropa mit 5,0 Prozent. Auch die USA liegen mit 0,7 Prozent äußerst niedrig. Als Gründe dafür gelten unter anderem geringere Produktivitätszunahme, intensiverer globaler Wettbewerb, abnehmende Tarifbindung sowie unsichere ökonomische Aussichten, die Unternehmen daran hinderten, Gehälter anzuheben.

Für die ILO ist fundamental: Gute Löhne sind ein Grundstein für menschenwürdige Arbeit. Ein niedriges Lohnwachstum ist deshalb ein Hindernis für eine nachhaltige ökonomische Entwicklung und den Ausgleich von Einkommensgefällen, wie es die UN-Agenda 2030 anstrebt.

Positiver sieht daher die Lohnentwicklung in Schwellen- und Entwicklungsländern aus: 2017 gab es ein Plus von 4,3 Prozent. In den letzten 20 Jahren haben sich die Löhne fast verdreifacht. Insbesondere die Verlagerung von Produktion in globale Lieferketten hat Wachstum generiert und die Löhne steigen lassen. Am meisten profitiert davon haben Asien und der pazifische Raum, gefolgt von Zentral- und Westafrika, Schlusslicht mit einem Wachstum unter 1 Prozent im letzten Jahr bildeten Lateinamerika und die Karibik.

Weiterhin enormes Lohngefälle zwischen Frauen und Männern

Gute Arbeit zeigt sich auch darin, dass für gleichwertige Tätigkeiten gleiche Löhne gezahlt werden. Das ist jedoch in den meisten Regionen der Welt nicht der Fall. Deshalb beschäftigt sich der ILO-Report in seinem zweiten Teil intensiv mit dem Gender Pay Gap. Der Bericht zeigt anhand von Daten aus 73 Ländern, die gut 80 Prozent der weltweit Angestellten widerspiegeln: Zwischen Männern und Frauen klafft noch immer eine beträchtliche Lohnlücke von rund 20 Prozent. Dabei beträgt das durchschnittliche Lohngefälle nach Stundenlohn (Mean Gender Pay Gap, siehe dazu Abschnitt „ILO at work“) weltweit 16 Prozent, jedoch mit starken Schwankungen: von 34 Prozent in Pakistan bis -10,3 Prozent (hier verdienen Frauen mehr) in den Philippinen.

Besonders ausgeprägt ist das Lohngefälle in Hocheinkommensländern bei den höchsten Einkommen sowie in Entwicklungs- und Schwellenländern am unteren Rand, wo Frauen überrepräsentiert sind. Dabei erklären, anders als oft angenommen, Arbeitsmarktfaktoren wie Alter, Erfahrung und Bildung den Gender Pay Gap kaum. Stattdessen zeigt der Report,

  • dass in vielen Ländern Frauen eine höhere Bildung mitbringen als Männer und dennoch bei gleicher und gleichwertiger Arbeit weniger verdienen,
  • dass in einigen Staaten Frauen bei gleicher Qualifikation gerade in Berufen oder Unternehmen schlechter bezahlt werden als Männer, in denen Frauen stark repräsentiert sind, 
  • dass Mütter oft weniger verdienen als Nicht-Mütter (Mutterschafts-Lohnlücke). Die Lücke reicht von 1 Prozent in Kanada, der Mongolei oder Südafrika bis zu 30 Prozent in der Türkei. Vor allem Arbeitsunterbrechungen, reduzierte Arbeitszeiten, die Auswahl familienfreundlicherer Jobs (die schlechter bezahlt sind) oder mütterfeindliche Einstellungs- und Beförderungskriterien in Unternehmen werden als Gründe genannt.

Die Beseitigung des Gender Pay Gaps ist daher ein Schwerpunkt für die Arbeit der Weltgemeinschaft – festgehalten im Nachhaltigen Entwicklungsziel 8.5 – und insbesondere für die ILO. Der Bericht entwickelt Lösungsstrategien:

  • Stereotypen müssen schon im Kindesalter abgebaut werden, vor allem durch das Bildungssystem, sodass sich Mädchen und Jungen für die Breite der Berufe interessieren und künftig Frauen und Männer in allen Berufen und Sektoren vertreten sind. Mehr Frauen in Männerberufe und umgekehrt.
  • Berufstätige Frauen (und Männer), die Kinder erziehen oder Angehörige pflegen, brauchen einen besseren Zugang zu Pflegedienstleistungen.
  • Es muss ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden, der Lohndiskriminierung bestraft. Dazu gehören auch Instrumente, die Transparenz über Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen schaffen.