INTERNATIONALE ARBEITSORGANISATION

Empfehlung 191

Empfehlung betreffend die Neufassung der Empfehlung betreffend den Mutterschutz, 1952

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation,

die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 30. Mai 2000 zu ihrer achtundachtzigsten Tagung zusammengetreten ist,

hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend den Mutterschutz, eine Frage, die den vierten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und

dabei bestimmt, daß diese Anträge die Form einer Empfehlung zur Ergänzung des Übereinkommens über den Mutterschutz, 2000 (im folgenden „das Übereinkommen" genannt), erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 15. Juni 2000, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend den Mutterschutz, 2000, bezeichnet wird.

Mutterschaftsurlaub

1. (1) Die Mitglieder sollten sich bemühen, die Dauer des in Artikel 4 des Übereinkommens erwähnten Mutterschaftsurlaubs auf mindestens 18 Wochen auszudehnen.

(2) Bei Mehrlingsgeburten sollte eine Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs vorgesehen werden.

(3) Soweit möglich sollten Maßnahmen getroffen werden, um sicherzustellen, daß die Frau das Recht hat, den Zeitpunkt, zu dem sie den nicht obligatorischen Teil ihres Mutterschaftsurlaubs vor oder nach der Entbindung nehmen will, frei zu wählen.

Leistungen

2. Die Geldleistungen, auf die eine Frau während des in den Artikeln 4 und 5 des Übereinkommens erwähnten Urlaubs Anspruch hat, sollten, soweit praktisch möglich und nach Beratung mit den repräsentativen Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, bis zum vollen Betrag des früheren Verdienstes der Frau oder des für die Berechnung der Leistungen berücksichtigten Teils dieses Verdienstes erhöht werden.

3. Die in Artikel 6 Absatz 7 des Übereinkommens vorgesehenen ärztlichen Leistungen sollten soweit wie möglich umfassen:

a) die Betreuung durch einen praktischen Arzt oder einen Facharzt in einer Arztpraxis, zu Hause oder in einem Krankenhaus oder einer anderen medizinischen Einrichtung;

b) die Mutterschaftsbetreuung durch eine geprüfte Hebamme oder durch eine andere Mutterschaftshilfe zu Hause, in einem Krankenhaus oder einer anderen medizinischen Einrichtung;

c) die Unterbringung in einem Krankenhaus oder einer anderen medizinischen Einrichtung;

d) alle erforderlichen Arzneimittel und medizinischen Hilfsmittel, Untersuchungen und Analysen, die von einem Arzt oder einer anderen qualifizierten Person verschrieben werden; und

e) zahnärztliche und chirurgische Betreuung.

Finanzierung der Leistungen

4. Jeder Beitrag im Rahmen einer gesetzlichen Sozialversicherung, die Leistungen bei Mutterschaft vorsieht, und jede öffentliche Abgabe, die aufgrund des gezahlten Arbeitsentgelts berechnet und zum Zweck der Gewährung derartiger Leistungen erhoben wird, sollte entsprechend der Gesamtzahl der männlichen und weiblichen Arbeitnehmer ohne Unterschied des Geschlechts gezahlt werden, unabhängig davon, ob die Zahlung gemeinsam durch den Arbeitgeber und die Arbeitnehmer oder lediglich durch den Arbeitgeber erfolgt.

Beschäftigungsschutz und Nichtdiskriminierung

5. Eine Frau sollte das Recht haben, nach Ende des in Artikel 5 des Übereinkommens vorgesehenen Urlaubs an ihren früheren oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz mit dem gleichen Entgelt zurückzukehren. Der Zeitraum des in den Artikeln 4 und 5 des Übereinkommens vorgesehenen Urlaubs sollte für die Zwecke der Festsetzung ihrer Ansprüche als Dienstzeit angesehen werden.

Gesundheitsschutz

6. (1) Die Mitglieder sollten Maßnahmen treffen, um die Beurteilung aller mit dem Arbeitsplatz verbundenen Risiken für die Sicherheit und Gesundheit der schwangeren oder stillenden Frau und ihres Kindes sicherzustellen. Die Ergebnisse der Beurteilung sollten der betreffenden Frau mitgeteilt werden.

(2) In den in Artikel 3 des Übereinkommens erwähnten Fällen oder falls ein erhebliches Risiko nach Unterabsatz (l) festgestellt worden ist, sollten Maßnahmen getroffen werden, um gegebenenfalls bei Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses eine Alternative für diese Arbeit vorzusehen, wie:

a) die Beseitigung des Risikos;

b) die Anpassung ihrer Arbeitsbedingungen;

c) eine Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz ohne Entgelteinbuße, wenn eine solche Anpassung nicht möglich ist; oder

d) ein bezahlter Urlaub in Übereinstimmung mit der innerstaatlichen Gesetzgebung oder Praxis, wenn eine solche Versetzung nicht möglich ist.

(3) Die in Unterabsatz (2) vorgesehenen Maßnahmen sollten insbesondere getroffen werden in bezug auf:

a) beschwerliche Arbeiten, die mit dem manuellen Heben, Tragen, Schieben oder Ziehen von Lasten verbunden sind;

b) Arbeiten, die mit einer Exposition gegenüber biologischen, chemischen oder physikalischen Agenzien verbunden sind, welche eine Gefahr für die reproduktive Gesundheit darstellen;

c) Arbeiten, die eine besondere Gleichgewichtshaltung erfordern;

d) Arbeiten, die infolge längeren Sitzens oder Stehens, extremer Temperaturen oder von Vibrationen mit körperlicher Anstrengung verbunden sind.

(4) Eine schwangere oder stillende Frau sollte nicht gezwungen werden, Nachtarbeit zu verrichten, falls ein ärztliches Zeugnis bescheinigt, daß solche Arbeit mit ihrer Schwangerschaft oder dem Stillen unvereinbar ist.

(5) Die Frau sollte das Recht behalten, an ihren Arbeitsplatz oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz zurückzukehren, sobald dies gefahrlos möglich ist.

(6) Eine Frau sollte die Möglichkeit haben, ihren Arbeitsplatz erforderlichenfalls zu verlassen, nachdem sie ihren Arbeitgeber davon unterrichtet hat, um sich ärztlichen Untersuchungen im Zusammenhang mit ihrer Schwangerschaft zu unterziehen.

Bruststillende Mütter

7. Bei Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses oder einer anderen geeigneten Bescheinigung, wie durch die innerstaatliche Gesetzgebung und Praxis bestimmt, sollten die Häufigkeit und Länge der Stillpausen an besondere Bedürfnisse angepaßt werden.

8. Die Stillpausen sollten, soweit praktisch möglich und mit Zustimmung des Arbeitgebers und der betreffenden Frau, zusammengelegt werden können, um eine Verkürzung der Arbeitszeit am Anfang oder Ende des Arbeitstags zu ermöglichen.

9. Soweit praktisch möglich, sollten Vorkehrungen für die Schaffung von Einrichtungen zum Stillen unter angemessenen hygienischen Bedingungen in der Arbeitsstätte oder in ihrer Nähe getroffen werden.

Verwandte Urlaubsarten

10. (1) Im Fall des Todes der Mutter vor dem Ende des Urlaubs nach der Geburt sollte der unselbständig beschäftigte Vater des Kindes berechtigt sein, Urlaub entsprechend dem verbleibenden Teil des nach der Geburt liegenden Mutterschaftsurlaubs zu nehmen.

(2) Im Fall der Erkrankung oder der Krankenhauseinweisung der Mutter nach der Entbindung und vor dem Ende des Urlaubs nach der Geburt und falls die Mutter sich nicht um das Kind kümmern kann, sollte der unselbständig beschäftigte Vater des Kindes Anspruch auf Urlaub entsprechend dem verbleibenden Teil des nach der Geburt liegenden Mutterschaftsurlaubs in Übereinstimmung mit der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis haben, um sich um das Kind zu kümmern.

(3) Die unselbständig beschäftigte Mutter oder der unselbständig beschäftigte Vater des Kindes sollte während eines Zeitraums nach dem Ende des Mutterschaftsurlaubs Anspruch auf Eltemurlaub haben.

(4) Der Zeitraum, während dessen Eltemurlaub gewährt werden könnte, die Dauer des Urlaubs und die anderen Modalitäten, einschließlich der Zahlung der Eltemleistungen sowie der Inanspruchnahme und Verteilung des Eltemuriaubs zwischen den unselbständig beschäftigten Eltern, sollten durch die innerstaatliche Gesetzgebung oder auf eine andere der innerstaatlichen Praxis entsprechende Weise festgelegt werden.

(5) Falls die innerstaatliche Gesetzgebung und Praxis eine Adoption vorsieht, sollten Adoptiveltem Zugang zu dem durch das Übereinkommen gebotenen Schutzsystem haben, insbesondere in bezug auf den Urlaub, die Leistungen und den Beschäftigungsschutz.