INTERNATIONALE ARBEITSORGANISATION

Übereinkommen 187

Übereinkommen über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz

Dieses Übereinkommen ist am 20. Februar 2009 in Kraft getreten.
Ort:Genf 
Tagung:95  der Ratifizierungen

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation,

die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf ein­berufen wurde und am 31. Mai 2006 zu ihrer fünfundneunzigsten Tagung zusam­men­getreten ist,

anerkennt das globale Ausmaß arbeitsbedingter Unfälle, Erkrankungen und Todes­fälle und die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen zu ihrer Reduzierung, 

erinnert daran, dass der Schutz der Arbeitnehmer gegen allgemeine und Berufs­krank­­­hei­ten sowie gegen Arbeitsunfälle zu den Zielen der Internatio­nalen Arbeits­orga­ni­sa­tion gehört, wie sie in ihrer Verfassung dargelegt sind,

  anerkennt, dass arbeitsbedingte Unfälle, Erkrankungen und Todesfälle sich negativ auf die Produktivität und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung auswir­ken,

 verweist auf Absatz III (g) der Erklärung von Philadelphia, dem zufolge die Inter­natio­nale Arbeitsorganisation die feierliche Verpflichtung hat, bei den einzel­nen Natio­nen der Welt Programme zu fördern, die einen ange­messe­nen Schutz für das Leben und die Gesundheit der Arbeitnehmer bei allen Beschäf­tigungen erreichen,

  ist sich der Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit und ihre Folgemaßnahmen, 1998, bewusst,

 verweist auf das Übereinkommen (Nr. 155) über den Arbeitsschutz, 1981, die Emp­­feh­­­lung (Nr. 164) betreffend den Arbeitsschutz, 1981, und andere Instru­­mente der Inter­­natio­nalen Arbeitsorganisation, die für den Förde­rungs­rahmen für den Arbeits­schutz relevant sind,

 erinnert daran, dass die Förderung des Arbeitsschutzes Teil der Agenda der Inter­na­tio­­nalen Arbeitsorganisation für menschenwürdige Arbeit für alle ist,

 verweist auf die von der 91. Tagung (2003) der Internationalen Arbeitskon­ferenz ange­­­nommenen „Schlussfolgerungen über normenbezogene Tätigkei­ten der IAO im Bereich des Arbeitsschutzes – Eine globale Strategie“, ins­be­sondere in Bezug darauf sicher­zustellen, dass dem Arbeitsschutz in natio­nalen Agenden Vorrang ein­geräumt wird,

 betont die Bedeutung der ständigen Förderung einer innerstaatlichen präven­tiven Arbeits­schutzkultur,

  hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend den Arbeits­schutz, eine Frage, die den vierten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und

  dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkom­mens erhal­ten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 15. Juni 2006, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz, 2006, bezeich­­net wird.

I. Begriffsbestimmungen

Artikel 1

Im Sinne dieses Übereinkommens

a) bezieht sich der Begriff „innerstaatliche Politik“ auf die innerstaatliche Politik auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes und der Arbeitsumwelt, die im Einklang mit den Grundsätzen von Artikel 4 des Übereinkommens (Nr. 155) über den Arbeitsschutz, 1981, entwickelt wird;

b) bezieht sich der Begriff „innerstaatliches Arbeitsschutzsystem“ oder „inner­staat­liches System“ auf die Infra­struk­tur, die den Hauptrahmen für die Umset­zung der inner­­staatlichen Arbeitsschutzpolitik und innerstaatlicher Arbeits­schutz­pro­­gramme bie­tet;

c) bezieht sich der Begriff „innerstaatliches Arbeitsschutzprogramm“ oder „inner­staat­­li­ches Programm“ auf jedes inner­staatliche Programm, das in einem vorher fest­geleg­ten Zeitrahmen zu erreichende Ziele, Prioritäten und Aktionsmittel, die aus­ge­arbeitet worden sind, um den Arbeitsschutz zu verbessern, sowie Mittel zur Beur­tei­lung von Fortschritten umfasst;

d) bezieht sich der Begriff „eine innerstaatliche präventive Arbeitsschutzkultur“ auf eine Kultur, in der das Recht auf eine sichere und gesunde Arbeitsumwelt auf allen Ebe­nen geachtet wird, in der Regierung, Arbeitgeber und Arbeitnehmer aktiv daran mit­wirken, durch ein System festgelegter Rechte, Verantwort­lich­keiten und Pflich­ten eine sichere und gesunde Arbeitsumwelt zu gewährleisten, und in der dem Grund­satz der Prävention höchste Priorität eingeräumt wird.

II. Ziel

Artikel 2

1.  Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, hat zur Verhütung von arbeits­­­bedingten Unfällen, Erkrankungen und Todesfällen in Bera­tung mit den maß­geben­­den Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeit­neh­mer die ständige Verbes­serung des Arbeits­schutzes zu fördern durch die Ent­wick­­lung einer innerstaatlichen Politik, eines innerstaatlichen Systems und eines inner­staat­li­chen Pro­gramms.

2.  Jedes Mitglied hat aktive Maßnahmen zu ergreifen, um unter Berücksichtigung der Grundsätze in den Instru­men­ten der Inter­nationalen Arbeitsorganisation (IAO), die für den Förderungsrah­men für den Arbeits­­­­schutz relevant sind, durch das innerstaatliche Arbeits­schutzsystem und durch innerstaatliche Arbeits­schutzprogramme schrittweise eine sichere und gesunde Arbeits­umwelt zu ver­wirk­lichen.

3.  Jedes Mitglied hat in Beratung mit den maßgebenden Verbänden der Arbeit­geber und der Arbeitnehmer in regelmäßigen Abständen zu erwägen, welche Maßnahmen getrof­fen werden könnten, um die einschlägigen Arbeitsschutzübereinkommen der IAO zu rati­fizieren.

III. Innerstaatliche Politik

Artikel 3

1.  Jedes Mitglied hat durch die Ausarbeitung einer innerstaatlichen Politik eine sichere und gesunde Arbeitsumwelt zu fördern.

2.  Jedes Mitglied hat auf allen einschlägigen Ebenen das Recht der Arbeit­neh­mer auf eine sichere und gesunde Arbeitsumwelt zu fördern und weiterzuentwickeln.

3.  Bei der Ausarbeitung seiner innerstaatlichen Politik hat jedes Mitglied im Licht der innerstaatlichen Bedingungen und Praxis und in Beratung mit den maßgebenden Ver­bän­den der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer grundlegende Prinzipien zu fördern, wie zum Beispiel die Evaluierung von arbeitsbedingten Risiken und Gefahren, die Bekämp­fung von arbeits­­­be­ding­ten Risiken und Gefahren an der Quelle und die Entwicklung einer inner­staatlichen prä­ven­tiven Arbeitsschutzkultur, die Informationen, Beratung und Ausbil­dung umfasst.

IV. Innerstaatliches System

Artikel 4

1.  Jedes Mitglied hat in Beratung mit den maßgebenden Verbänden der Arbeit­ge­ber und der Arbeitnehmer ein innerstaatliches Arbeitsschutzsystem einzu­richten, zu unter­­halten, fortlaufend weiterzuentwickeln und regelmäßig zu überprüfen.

2.  Das innerstaatliche Arbeitsschutzsystem hat unter anderem zu umfassen:

a) Rechtsvorschriften, gegebenenfalls Gesamtarbeitsverträge und alle sonstigen rele­van­­ten Instrumente über den Arbeitsschutz;

 b) eine oder mehrere für den Arbeitsschutz verantwortliche und im Einklang mit der inner­­staat­lichen Gesetzgebung und Praxis bezeich­nete Stellen oder Gremien;

 c) Mechanismen zur Sicherstellung der Einhaltung der innerstaatlichen Rechtsvor­schrif­­ten, einschließlich Inspektionssystemen;

 d) Vorkehrungen zur Förderung der Zusammenarbeit auf Unterneh­mensebene zwischen Geschäftsleitung, Arbeitnehmern und ihren Vertretern als wesent­li­ches Element von Präventionsmaßnahmen am Arbeitsplatz.

3.  Das innerstaatliche Arbeitsschutzsystem hat, soweit angemessen, zu umfassen:

a) einen innerstaatlichen dreigliedrigen Beirat oder innerstaatliche dreigliedrige Bei­räte, die sich mit Arbeitsschutzfragen befassen;

b) Informations- und Beratungsdienste zum Arbeitsschutz;

c) die Bereitstellung einer Arbeitsschutzausbildung;

d) arbeitsmedizinische Dienste im Einklang mit der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis;

e) Arbeitsschutzforschung;

f) einen Mechanismus zur Erhebung und Analyse von Daten über Arbeitsunfälle und Berufs­krankheiten unter Berücksichtigung der einschlägigen Instrumente der IAO;

g) Vorkehrungen für eine Zusammenarbeit mit einschlägigen Ver­siche­rungs- oder Sozial­­­­­ver­sicherungs­systemen, die Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten decken; und

h) Unterstützungsmechanismen für eine fortschreitende Verbesserung der Arbeits­schutz­­be­din­gun­gen in Kleinst-, Klein- und Mittelbetrieben und in der infor­­mellen Wirt­schaft.

V. Innerstaatliches Programm

Artikel 5

1.  Jedes Mitglied hat in Beratung mit den maßgebenden Verbänden der Arbeit­ge­ber und der Arbeitnehmer ein innerstaatliches Arbeitsschutzprogramm auszu­arbei­ten, umzu­set­zen, zu über­wachen, zu evaluieren und regelmäßig zu überprüfen.

2.  Das innerstaatliche Programm:

a) hat die Entwicklung einer innerstaatlichen präventiven Arbeitsschutzkultur zu för­dern;

b) hat, soweit praktisch durchführbar, durch die Beseitigung arbeitsbedingter Gefahren und Risiken oder ihre Herabsetzung auf ein Mindestmaß im Einklang mit der inner­staat­lichen Gesetzgebung und Praxis einen Beitrag zum Schutz der Arbeitnehmer zu leisten, um arbeitsbedingte Unfälle, Erkrankungen und Todesfälle zu verhüten und den Arbeitsschutz in der Arbeitsstätte zu fördern;

c) ist auf der Grundlage einer Analyse der innerstaatlichen Arbeitsschutzsituation, ein­schließ­lich einer Analyse des innerstaatlichen Arbeitsschutzsystems, auszu­ar­bei­ten und zu über­prüfen;

d) hat Ziele, Zielvorgaben und Fortschrittsindikatoren zu enthalten;

e) ist nach Möglichkeit durch andere ergänzende innerstaatliche Programme und Pläne zu unterstützen, die dazu beitragen, schrittweise eine sichere und gesunde Arbeits­umwelt zu verwirklichen.

3.  Das innerstaatliche Programm ist weithin bekannt zu machen und, soweit es mög­lich ist, von den höchsten staatlichen Stellen zu unterstützen und in Gang zu setzen.

VI. Schlussbestimmungen

Artikel 6

Durch dieses Übereinkommen werden bestehende inter­na­tio­nale Arbeits­überein­kom­men oder -empfehlungen nicht neu gefasst.

Artikel 7

Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Inter­na­tio­nalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 8

1.  Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Inter­na­tio­nalen Arbeits­­­organisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor des Internationalen Arbeits­amtes eingetragen ist.

2.  Es tritt, zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind, in Kraft.

3.  In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.

Artikel 9

1.  Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren seit seinem erstmaligen Inkrafttreten durch förmliche Mitteilung an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von die­sem eingetragen. Sie wird zwölf Monate nach der Eintragung wirksam.

2.  Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und binnen eines Jahres nach Ablauf der in Absatz 1 genannten zehn Jahre von dem in diesem Artikel vor­ge­sehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für weitere zehn Jahre gebun­den. In der Folge kann es dieses Übereinkommen innerhalb des ersten Jahres jedes neuen Zehnjahres-Zeitraums nach Maßgabe dieses Artikels kündigen.

Artikel 10

1.  Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Rati­fikationen und Kündigungen, die von den Mitgliedern mitgeteilt worden sind.

2.  Der Generaldirektor macht die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Ratifikation, die mitgeteilt worden ist, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerk­sam, zu dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.

Artikel 11

Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem General­sekre­tär der Vereinten Nationen zur Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Natio­nen vollständige Auskünfte über alle nach Maßgabe der vorausgehenden Artikel ein­getragenen Ratifikationen und Kündigungen.

Artikel 12

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes erstattet der Allgemeinen Kon­fe­­renz, wann immer er es für nötig erachtet, einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens und prüft, ob die Frage seiner Neufassung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 13

1.  Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen neu fasst, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gilt Folgendes:

a) Die Ratifikation des neu gefassten Übereinkommens durch ein Mitglied hat unge­achtet des Artikels 9 ohne weiteres die Wirkung einer sofortigen Kündigung des vor­liegenden Übereinkommens, sofern das neu gefasste Übereinkommen in Kraft getre­ten ist.

b) Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neu gefassten Übereinkommens an kann das vor­­liegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2.  In jedem Fall bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt für diejenigen Mitglieder in Kraft, die dieses, nicht jedoch das neu gefasste Übereinkommen ratifiziert haben.

Artikel 14

Der englische und der französische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in glei­cher Weise verbindlich.