INTERNATIONALE ARBEITSORGANISATION

Übereinkommen 17

Übereinkommen über die Entschädigung bei Betriebsunfällen, 1925

Dieses Übereinkommen ist am 1. April 1927 in Kraft getreten.
Ort:Genf 
Tagung:7 

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation,

die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 19. Mai 1925 zu ihrer siebenten Tagung zusammengetreten ist,

hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die Entschädigung bei Betriebsunfällen, eine Frage, die zum ersten Gegenstand ihrer Tagesordnung gehört, und

dabei bestimmt, daß diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 10. Juni 1925, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über die Entschädigung bei Betriebsunfällen, 1925, bezeichnet wird, zwecks Ratifikation durch die Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation nach den Bestimmungen der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation:



Artikel 1

Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, Arbeitnehmern, die einen Betriebsunfall erlitten haben, oder ihren Hinterbliebenen eine mindestens den Bestimmungen dieses Übereinkommens entsprechende Entschädigung zu sichern.



Artikel 2

1. Die Gesetze und Verordnungen über die Entschädigung bei Betriebsunfällen sind anzuwenden auf Arbeiter, Angestellte und Lehrlinge in öffentlichen und privaten Betrieben, Unternehmungen und Anstalten jeder Art.

2. Es bleibt jedoch jedem Mitglied unbenommen, in seiner innerstaatlichen Gesetzgebung die etwa erforderlich erscheinenden Ausnahmen vorzusehen für

a) Personen, die zu gelegentlichen und dem Betriebszweck fremden Arbeiten verwendet werden,

b) Heimarbeiter,

c) Familienangehörige des Arbeitgebers, die ausschließlich für seine Rechnung arbeiten und in seinem Haushalt leben,

d) Arbeitnehmer, die nicht Handarbeit verrichten und deren Arbeitsverdienst eine durch die innerstaatliche Gesetzgebung etwa bestimmte Grenze übersteigt.



Artikel 3

Dieses Übereinkommen bezieht sich nicht auf

(1) Schiffsleute und Fischer, für die ein späteres Übereinkommen Vorsorge treffen soll,

(2) Personen, für die eine besondere, der im vorliegenden Übereinkommen vorgesehenen mindestens gleichwertige Regelung vorliegt.



Artikel 4

Dieses Übereinkommen ist nicht anwendbar auf die Landwirtschaft, für die das von der Internationalen Arbeitskonferenz auf ihrer dritten Tagung angenommene Übereinkommen über die Entschädigung bei Betriebsunfällen in der Landwirtschaft in Kraft bleibt.



Artikel 5

Hat der Unfall dauernde Erwerbsunfähigkeit oder den Tod zur Folge, so wird die Entschädigung dem verletzten Arbeitnehmer oder seinen Hinterbliebenen in Form einer Rente gewährt. Die Rente kann ganz oder teilweise durch Zahlung einer Abfindung abgelöst werden, falls den zuständigen Stellen genügende Sicherheit für eine zweckmäßige Verwendung der Abfindungssumme geboten wird.



Artikel 6

Bei Erwerbsunfähigkeit beginnt die Entschädigungsleistung spätestens am fünften Tage nach dem Unfall, gleichviel ob der Arbeitgeber, eine Einrichtung der Unfallversicherung oder eine solche der Krankenversicherung zur Leistung verpflichtet ist.



Artikel 7

Hat der Unfall eine solche Erwerbsunfähigkeit zur Folge, daß der verletzte Arbeitnehmer ständig fremder Hilfe bedarf, so ist eine Zusatzentschädigung zu gewähren.



Artikel 8

Die innerstaatliche Gesetzgebung sieht die zur Überwachung sowie die zur Nachprüfung der Entschädigung erforderlichen Maßnahmen vor.



Artikel 9

Die verletzten Arbeitnehmer haben Anspruch auf ärztlichen Beistand und auf die infolge des Unfalles erforderliche chirurgische Behandlung und Versorgung mit Arznei. Die daraus erwachsenden Kosten sind von dem Arbeitgeber, den Einrichtungen der Unfallversicherung oder den Einrichtungen der Kranken- oder Invaliditätsversicherung zu tragen.



Artikel 10

1. Verletzte Arbeitnehmer haben gegenüber dem Arbeitgeber oder dem Träger der Versicherung Anspruch auf Lieferung und ordnungsmäßige Erneuerung der benötigten Körperersatzstücke und orthopädischen Behelfe. Die innerstaatliche Gesetzgebung kann in Ausnahmefällen an Stelle der Lieferung und Erneuerung der Körperersatzstücke und orthopädischen Behelfe die Gewährung einer Zusatzentschädigung zulassen; diese ist bei der Festsetzung oder Nachprüfung der Entschädigung, und zwar mit dem wahrscheinlichen Betrage der Anschaffungs- und Erneuerungskosten der Körperersatzstücke und orthopädischen Behelfe, zu bemessen.

2. Die innerstaatliche Gesetzgebung hat die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit Mißbräuche bei der Erneuerung von Ersatzstücken und Behelfen vermieden und die Zusatzentschädigungen ihrem Zweck entsprechend verwendet werden.



Artikel 11

Die innerstaatliche Gesetzgebung hat, unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des einzelnen Landes, geeignete Vorkehrungen zu treffen, damit unter allen Umständen, namentlich auch bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers oder des Versicherungsträgers, die Zahlung der Entschädigung an die verletzten Arbeitnehmer oder ihre Hinterbliebenen sichergestellt wird.



Artikel 12

Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind nach den Bestimmungen der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.



Artikel 13

1. Dieses Übereinkommen tritt in Kraft, sobald die Ratifikationen zweier Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.

2. Es bindet nur diejenigen Mitglieder, deren Ratifikation beim Internationalen Arbeitsamt eingetragen ist.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes andere Mitglied mit dem Tag in Kraft, an dem seine Ratifikation beim Internationalen Arbeitsamt eingetragen worden ist.



Artikel 14

Sobald die Ratifikationen zweier Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation beim Internationalen Arbeitsamt eingetragen sind, teilt der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes dies sämtlichen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation mit. Auch gibt er ihnen Kenntnis von der Eintragung der Ratifikationen, die ihm später von anderen Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.



Artikel 15

Vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 13 verpflichtet sich jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, die Bestimmungen der Artikel 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 und 11 spätestens am 1. Januar 1927 in Geltung zu setzen und die zu ihrer Durchführung nötigen Maßnahmen zu treffen.



Artikel 16

Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, es in seinen Kolonien, Besitzungen und Protektoraten nach den Bestimmungen des Artikels 35 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation anzuwenden.



Artikel 17

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von fünf Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum ersten Mal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung beim Internationalen Arbeitsamt ein.



Artikel 18

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, sooft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.



Artikel 19

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise maßgebend.