Hintergrund: Perspektiven schaffen durch strukturelle Veränderungen in Afrika

1959 begann die ILO mit ihren ersten Aktivitäten in Afrika. Heute in weiten Teilen des Kontinents vertreten. Von der Beschäftigungsförderung bis zur Durchsetzung der ILO-Kernarbeitsnormen: Mit ihren Projekten, die die ILO stets gemeinsam mit Regierungen und Sozialpartnern vor Ort entwickelt und umsetzt, leistet sie einen wichtigen Beitrag dazu, Afrika sozial und wirtschaftlich voranzubringen und damit auch Stabilität und Frieden in der Region zu sichern.

Artikel | 27. September 2017

Expertise vor Ort

Das erste ILO-Büro in Afrika wurde bereits 1959 in Lagos, Nigeria eröffnet. Sechs Jahre später unterzeichnete die ILO mit der Organisation für Afrikanische Einheit, dem Vorgänger der Afrikanischen Union, das erste Rahmenabkommen überhaupt zwischen den Vereinten Nationen und der afrikanischen Regionalorganisation.

Im Jahre 2017 ist die ILO strukturell und personell auf weiten Teilen des Kontinents vertreten. Neben dem Regionalbüro in Abidjan, der Hauptstadt des westafrikanischen Staates Elfenbeinküste, unterhält die ILO weitere 13 Länderbüros. In Ägypten, Senegal, Südafrika und Kamerun wurden ILO Decent Work Technical Support Teams eingerichtet. Das Konzept: Fachexpertise so nah wie möglich an die Staaten bringen, um die Policy-Beratung auf die jeweiligen Gegebenheiten passgenau zuschneiden zu können.

Schwerpunkte gemeinsam mit den Konstituenten setzen

Auch bei der Frage welche, Vorhaben in den jeweiligen Ländern vorangetrieben werden sollen, spielt die Kooperation mit den Akteuren vor Ort eine entscheidende Rolle. Gemeinsam mit den Regierungen und Sozialpartnern entwickelt die ILO sogenannte Decent Work Country Programmes. Diese Abkommen werden für den Zeitraum von vier bis sieben Jahren verabschiedet und bilden die Grundlage für konkrete Projekte. Die ILO ist stets darauf bedacht, nicht an den Ideen der jeweiligen Staaten vorbei zu agieren. Das ist vor allem wichtig, um durch gemeinsame Anstrengung die weitreichenden Ziele der 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung erfolgreich umzusetzen. Die Schwerpunkte der ILO werden entsprechend mit den nationalen Beschäftigungsplänen und UN-weiten Initiativen abgestimmt. Aktuell haben 45 afrikanische Staaten ein solches Abkommen unterzeichnet.

Auf Basis der definierten Schwerpunkte werden in einem zweiten Schritt konkrete Projekte entwickelt. Auch hier arbeitet die ILO eng mit anderen UN-Akteuren zusammen. Viele Projekte und Programme werden gemeinsam aufgelegt, um die Reichweite der Maßnahmen zu erhöhen. Es gibt eine Vielzahl von Kooperationen mit nahezu allen UN-Organisationen, sei es bei der Bekämpfung von Kinder- und Zwangsarbeit in Zusammenarbeit mit dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF), bei Jugendbeschäftigung und Infrastrukturprojekten mit dem Entwicklungsprogramm (UNDP) oder bei der Unterstützung ländlicher Entwicklung mit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO). Die ILO bringt vor allem Expertise rund um Beschäftigung, Förderung von nachhaltigen Unternehmen und dem Aufbau von sozialen Sicherungssystemen ein. Auch der rechtebasierte Ansatz der ILO spielt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle.

Was geschieht konkret in Afrika?

Die ILO unterstützt die afrikanischen Staaten im Prozess der strukturellen Transformation, das heißt dem Übergang von einer Primärwirtschaft hin zu wirtschaftlicher Diversifizierung und dem Aufbau eines gut funktionierenden Dienstleistungssektors. Vor allem zielt die konkrete Arbeit auf die Stärkung der Arbeitsmarktinstitutionen und damit der Förderung von Beschäftigung, um private und öffentliche Investitionen zu erhöhen. Die ILO berät ihre Mitglieder beispielsweise beim Aufbau von Infrastruktur, der Umsetzung von Jugendbeschäftigungsprogrammen oder der Anwendung von Arbeitsschutzstandards.

Parallel werden Trainings für die Wirtschaft angeboten, um Unternehmertum zu fördern und den vielen kleinen und mittleren Unternehmen die Mittel an die Hand zu geben, die notwendigen Fähigkeiten für die Anforderungen des Arbeitsmarktes zu erlangen. Ein wichtiges Ziel ist die schrittweise Formalisierung der Wirtschaft, um Menschen aus der Armut zu führen, ihnen eine Lebensgrundlage zu geben und um langfristig das Steueraufkommen zu erhöhen und damit Investitionen in Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung zu sichern.

Durch die zwei Säulen Sozialpartnerschaft und Normsetzung trägt die ILO zudem maßgeblich zum Aufbau von unabhängigen, demokratischen Strukturen bei, die den Kontinent langfristig krisenfest machen sollen. Der ILO-Ansatz beruht auf dem Prinzip, dass sozialer Frieden ein wesentlicher Faktor für Frieden im Allgemeinen ist – einer Idee, die aus dem Lehren des Ersten Weltkrieges gezogen wurde und seither die Arbeit der ILO bestimmt. Die Hälfte der 1,2 Milliarden Afrikanerinnen und Afrikaner ist unter 25 und die Gesamtbevölkerung wird sich laut Schätzungen in den kommenden 35 Jahren verdoppeln. Die junge Bevölkerung ist dynamisch und bietet enormes Potenzial, aber auch Sprengkraft für soziale Unruhen. Die ILO setzt dort an und fördert Frieden und Stabilität durch die Zusammenarbeit mit Regierungen und Sozialpartnern. Sozialdialog stärkt zivilgesellschaftliche und demokratische Kräfte und ermöglicht Interessensausgleich, Teilhabe und Inklusion. Dieser Aspekt ist vor allem in Afrika wichtig, einer Region, die geprägt wird durch ihre Vielzahl an Ethnien und politischer Strömungen.

Der rechtebasierte Ansatz trägt ebenfalls zur Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bei, vor allem in Bezug auf die Durchsetzung der Kernarbeitsnormen. Die ILO unterstützt die Umsetzung von Justizreformen und berät Regierungen bei der Stärkung von Individual- und Kollektivrechten wie gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit, Streikrechten oder Arbeitsinspektion in der Landwirtschaft.

Partnerschaft für den Frieden

Im Jahr 2016 hat die ILO eine gemeinsame Initiative mit der Weltbank, dem United Nations Development Programme (UNDP) und dem United Nations Peacebuilding Support Office (PBSO) ins Leben gerufen, um durch Beschäftigungsprogramme langfristig Frieden in der Region zu stärken. „Leaving no one behind“ ist ein wichtiges Prinizip der 2030-Agenda. Die Aufmerksamkeit liegt hier auf den krisengeschüttelten Staaten. Eine engere Zusammenarbeit der internationalen Organisationen ist wichtig, um den ärmsten 40 Prozent Perspektiven zu geben und Potenziale freizusetzen, damit in Kooperation der afrikanische Kontinent ein Stück stabiler und gerechter wird.

Grundlegend ist eine fundierte Analyse von Konfliktursachen. Gute Jobs stehen im Mittelpunkt der Initiative. Durch Beschäftigung kommen die verschiedenen ethnischen und sozialen Gruppen in Kontakt, gleichzeitig sollen transparentere Governance-Strukturen ermöglichen, reale oder gefühlte Ungerechtigkeiten zu verringern. Letztlich bieten Beschäftigungsmöglichkeiten eine gute Alternative zur Kriegsökonomie, von der bestimmte Gruppen immer auch profitieren. Die ILO machte auf der 72. UN Generalversammlung im September 2017 erneut auf das Problem aufmerksam und lud zu einem High-Level-Event ein, bei dem vor allem der Zusammenhang von Jugendbeschäftigung und Frieden im Fokus stand.

Auf der letzten Arbeitskonferenz im Juni 2017 hatten die ILO Konstituenten die Empfehlung 205 zu menschenwürdiger Arbeit und Beschäftigung für Frieden und Resilienz verabschiedet. Eine frühere Fassung bestand bereits seit 1944. Mit dieser Entscheidung wurde ein wichtiges normatives Instrument für die Arbeit in fragilen Staaten und von Naturkatastrophen betroffenen Regionen aktualisiert und gestärkt.

Bereits 2014 hatte die ILO ein Rahmenabkommen mit der Staatengruppe g7+ vereinbart, einem Zusammenschluss von 20 überwiegend afrikanischen fragilen Staaten, das die Grundlage für ein verstärktes Engagement bildete.