ILO Köpfe: Deborah France-Massin, Direktorin des Bureau for Employers' Activities, über die Durchsetzung guter Arbeitsbedingungen in Unternehmen

Wenn es darum geht, Arbeitsplätze menschenwürdig zu gestalten, stehen sowohl Regierungen als auch die Unternehmen selbst in der Pflicht. Was sind die größten Hindernisse auf dem Weg dorthin? Und wie hilft die ILO? Diese und andere Fragen beantwortet Deborah France-Massin, Direktorin des Bureau for Employers' Activities (ACT/EMP), im Gespräch.

Artikel | 27. August 2018

Welche Verantwortung tragen Unternehmen für die Durchsetzung von Arbeitsstandards?

Es sind nicht die Unternehmen allein. Zum einen müssen die nationalen Regierungen darin unterstützt werden, grundlegende Arbeitsstandards einzuführen und durchzusetzen. Arbeitgeber- und Unternehmerverbände und die Firmen selbst wiederum müssen in die Lage versetzt werden, Rechtsvorschriften einzuhalten. Dazu ist es auch hilfreich herauszufinden, was Unternehmen an einer nachhaltigen Entwicklung hindert, um das Umfeld schon im Vorhinein erfolgversprechender zu gestalten.

Zum anderen braucht es die enge Zusammenarbeit mit den Unternehmen und ihren Interessenvertretungen vor Ort, um ihr Bewusstsein für gute Arbeitsbedingungen zu schärfen. Vor allem auch, um an jene Unternehmen heranzukommen, die schwer zu erreichen sind, wie kleine Betriebe in den Tiefen der Lieferketten.


Wo liegen die größten Baustellen in Sachen menschenwürdige Arbeitsbedingungen in Unternehmen, vor allem vor dem Hintergrund globaler Lieferketten?

Zunächst darf man nicht vergessen, dass es in allen Ländern Lieferketten gibt und dass sie einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet haben, Millionen Arbeitsplätze zu schaffen, Löhne steigen zu lassen und Lebensstandards zu verbessern. In den globalen Lieferketten tun sich jedoch einige Staaten schwerer, menschenwürdige Arbeit sicherzustellen, weil es institutionelle Lücken gibt, die eine effektive Umsetzung und Kontrolle von Arbeitsgesetzen verhindern.

Anders gesagt: Nicht die Textilindustrie oder der Bergbau sind per se das Problem, sondern nationale Regulierungs- und Durchsetzungsdefizite. Außerdem haben nicht nur Exporteure mit den Herausforderungen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und Entlohnung zu kämpfen, sondern gleichermaßen auch heimische Produzenten, kleinere Betriebe und Arbeiter in diesen Ländern.

Kritische Faktoren für eine nachhaltige Verbesserung der Arbeitsbedingungen sind in jedem Fall schlechte Regierungsführung, schwache oder fehlende Arbeitsmarktinstitutionen, geringe Rechtsdurchsetzung sowie ausgeprägte informelle Wirtschaften in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern. Es ist entscheidend, durch länder- und sektorenübergreifende Analysen die grundlegenden Hindernisse ausfindig zu machen, um geeignete politische Antworten zu finden.

Wie kann man Firmen dazu bewegen und sie darin unterstützen, menschenwürdige und faire Arbeitsbedingungen sicherzustellen? Was leisten die ILO und das Bureau for Employers' Activities (ACT/EMP)?

Aufgabe des Bureau for Employers’ Activities innerhalb der ILO ist es, das ILO Office mit Informationen darüber zu versorgen, welche Ziele und Strategien Unternehmen verfolgen, und eine Anlaufstelle für Kolleginnen und Kollegen zu sein, die das Wissen nutzen wollen, das unsere Konstituenten aus der Welt der Arbeit mitbringen.

Wir arbeiten mit Arbeitgeber- und Unternehmerverbänden sowie Unternehmensvertretern zusammen, damit sie eine aktivere Rolle spielen können bei der Gestaltung nationaler Politik, der Etablierung  inklusiver Geschäftspraktiken und dem Aufbau von Fortschritt in Richtung Nachhaltigkeit. Außerdem unterstützen wir sie in einem gemeinschaftlichen Vorgehen für gute Arbeitsbedingungen. Das ILO Global Business Network on Forced Labour and Human Trafficking beispielsweise ist ein Dachnetzwerk, das Unternehmen hilft, sich in der komplexen Landschaft von Akteuren, Mechanismen und Unterstützungsangeboten in Sachen Zwangsarbeit und Menschenhandel zurechtzufinden.

Demografischer Wandel und Digitalisierung verändern die Arbeitsmärkte massiv. Wo liegen die größten Herausforderungen für die ILO in der Arbeit mit Unternehmen in der Zukunft?

Die Arbeitswelt verändert sich rasant. Die Grenzen zwischen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Arbeitsplatz verzerren zunehmend. Neue Industrien, Märkte und Arbeitsmöglichkeiten entstehen. Mit dem Näherrücken der Hundertjahrfeier der ILO ist es wichtig für uns zu wissen, wie sich unsere Konstituenten und ihre Mitglieder verändern und auf dieser Basis herauszukristallisieren, was das für die ILO bedeutet.
Insgesamt wünschen sich die Konstituenten der Arbeitgeberseite von der ILO ausgewogene Lösungen und eine stärkere Berücksichtigung ihrer Belange. Die ILO-Diskussion zur Zukunft der Arbeit wird die Nagelprobe sein. Wir sehen schon jetzt, dass dieser Prozess Raum für Dialog schafft, der es uns ermöglichen kann, unsere Ansätze zu überarbeiten und uns neue Perspektiven zu eröffnen, wenn wir in das zweite ILO-Jahrhundert eintreten.