Die Hälfte der weltweiten Arbeitnehmerschaft droht mit dem Arbeitsplatz zugleich die Existenzgrundlage zu verlieren

Die jüngsten ILO-Daten zur COVID-19 Pandemie zeigen die verheerenden Auswirkungen auf Beschäftigung weltweit, besonders in der informellen Wirtschaft aber auch für Hunderte Millionen von Unternehmen.

Artikel | 30. April 2020

ILO prognostiziert deutlich schlimmere Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt als bisher

In ihrem dritten Arbeitsmarktmonitor "COVID-19 und die Welt der Arbeit“ (COVID-19 and the world of work) hat die Internationale Arbeitsorganisation ihre Prognosen zu den Auswirkungen der Pandemie auf die globale Beschäftigung im Lichte der jüngsten Entwicklungen deutlich korrigiert. Es wird erwartet, dass sich die Anzahl der Arbeitsstunden im 2. Quartal 2020 weltweit um 10.5 Prozent reduziert. Diese Stundenreduktion entspricht 305 Millionen Vollzeitjobs. Zum Vergleich: Im letzten Monat ging die ILO noch von 195 Millionen Vollzeitjobs aus.

Die Zahlen verdeutlichen, dass wir uns global in der größten Krise seit dem zweiten Weltkrieg befinden. Selbst die Arbeitslosenzahlen der Krisenjahre 2008 und 2009 werden durch die COVID-19 Pandemie bei Weitem übertroffen werden. Damit sind die globalen ökonomischen, sozialen und gesundheitlichen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte in Gefahr.

Die ILO Prognosen deuten darauf hin, dass sich die ökonomischen Auswirkungen der Gesundheitskrise nicht gleichermaßen in allen Weltregionen manifestieren. Zwar sind alle Regionen von der Pandemie, von Arbeitsplatzschließungen und damit Gewinn- und Gehaltseinbußen betroffen. Doch besonders Amerika und Zentralasien verzeichnen die größten Verluste von Arbeitszeiten und damit auch Arbeitsplätzen mit 12.4 Prozent bzw. 11.8 Prozent im zweiten Quartal 2020. Lediglich in Ostasien wird im gleichen Quartal kein weiterer Rückgang der Arbeitsstunden erwartet, auch wenn diese immer noch 7.2 Prozentpunkte unter den Werten aus dem vierten Quartal 2019 zurückbleiben.  

Gleichzeitig verringerte sich die Anzahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die von (Teil-) Schließungen ihrer Arbeitsplätze betroffen sind in den letzten zwei Wochen von 81 Prozent auf 68 Prozent. Diese starke Reduktion wird maßgeblich von China beeinflusst. Dort sind in den letzten Wochen Ausgangssperren und Arbeitsplatzschließungen in weiten Teilen des Landes gelockert worden. In anderen Teilen der Welt verschärfen sich die Ausgangssperren währenddessen.

Der informelle Sektor besonders volatil

60 Prozent der global erwerbstätigen Bevölkerung arbeitet informell – insgesamt mehr als zwei Milliarden Menschen. Nicht nur haben die informell Arbeitenden oft keinen Zugang zum Gesundheitssystem. Sie können auch den Verlust ihres Einkommens bei Ausgangsbeschränkungen und Arbeitsplatzschließungen nicht ausgleichen. Mehr als die Hälfte von ihnen sind aktuell betroffen. Es fehlt vielerorts an sozialen Sicherungssystemen, um diese Menschen vor direkter Armut und Hunger zu bewahren.

In der jetzigen Arbeitsmarktsituation sind Beschäftigte im informellen Sektor ökonomisch besonders betroffen. Das durchschnittliche Einkommen für informell Arbeitende wird im zweiten Quartal 2020 um 60 Prozent sinken. Dieser rapide Verlust des Einkommens betrifft Afrika und Latein Amerika am stärksten, mit Einkommensverlusten bis zu 81 Prozent. Aber nicht nur der Einkommensverlust ist zu betrachten – damit einhergehend wird es zu einer wachsenden Ungleichheit zwischen Arbeitenden in den betroffenen Regionen kommen. Bedenkt man, dass informell Arbeitende den Verlust ihres Einkommens nicht ersetzten können, wird der Anteil an Menschen, deren monatliches Einkommen unter 50 Prozent des mittleren Einkommens (Medianeinkommen) der Bevölkerung liegt, global um 34 Prozentpunkte steigen. Dabei ist der größte Anstieg von Ungleichheit für Länder mit niedrigen Einkommen vorhergesagt.

Sektorspezifische Prognosen der ILO

Die Ungleichheiten in der informellen Arbeit werden von branchenspezifischen Problemen ergänzt. Manche Branchen sind durch Ausgangsbeschränkungen und Nachfragerückgang durch COVID-19 besonders betroffen: der Groß- und Einzelhandel, der Fertigungssektor, der Immobilienhandel, Dienstleistungen der Unterhaltung und Erholung, und die Logistik. Die ILO geht davon aus, dass 76 Prozent der informellen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von den verschiedenen Modalitäten der Arbeitsplatzschließung und Ausgangssperren in den genannten Branchen betroffen sind.

Die Menschen, die weiterhin zur Arbeit gehen können und müssen, sind währenddessen gesundheitlich besonders gefährdet. So arbeiten global 136 Mio. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Gesundheitssektor und in sozialen Berufen. Sie sind damit einem erhöhten Risiko ausgesetzt, sich am Arbeitsplatz mit dem Corona-Sirus zu infizieren. Geschätzt werden 70% dieser Berufe von Frauen ausgeübt.

Dies sind die aktuellen Zahlen und Entwicklungen, die die ILO im weiteren Verlauf der COVIOD-19 Pandemie an die aktuellen Entwicklungen anpassen wird.

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Die Veröffentlichung von Daten zum Arbeitszeitverlust ist eine Methode, um neben formeller Arbeit auch den Verlust informeller Arbeit in die Statistik mit einzubeziehen. Auch informelle Arbeit kann nicht ausgeführt werden, wenn die Nachfrage für die Dienstleistungen ausbleibt, Waren in der Landwirtschaft nicht abgenommen werden oder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Grund von Ausgangssperren nicht zu Ihren Arbeitgebenden fahren können.