Hintergrund: Was hilft gegen Kinder- und Zwangsarbeit?

Kinderarbeit, Zwangsarbeit und Menschenhandel sind nach wie vor globale Realität. Obwohl die Zahl der Betroffenen weltweit zurückgegangen ist, schafft eine Kombination aus hohem ökonomischem Druck und mangelnder staatlicher, unternehmerischer und sozialpartnerschaftlicher Kontrolle auch heute noch den Raum für massive Menschenrechtsverletzungen bei der Arbeit. Die ILO analysiert in ihrem neuen Report die wichtigsten Risikofaktoren – und wie man ihnen entgegenwirken kann.

Artikel | 11. Dezember 2019
In den Nachhaltigen Entwicklungszielen hat sich die internationale Gemeinschaft verpflichtet, Kinderarbeit bis 2025 und Zwangsarbeit und Menschenhandel bis 2030 zu beenden. Ein neuer Bericht von ILO, OECD, UNICEF und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) – „Ending child labour, forced labour and human trafficking in global supply chains“  – misst erstmals den weltweiten Fortschritt auf dem Weg zu diesem Ziel und legt dabei besonderes Augenmerk auf globale Lieferketten. Er stellt fest, dass nach wie vor 152 Millionen Kinder von Kinderarbeit betroffen und 25 Millionen Erwachsene und Kinder Opfer von Zwangsarbeit sind. Zwischen 10 Prozent aller Kinderarbeit in Afrika und 25 Prozent in Südostasien und Lateinamerika findet dabei in der Produktion für den Export statt und damit oft in den Lieferketten von Unternehmen aus dem globalen Norden.

Auch wenn globale Liefernetzwerke und freier Handel wichtige Instrumente für Beschäftigungswachstum und Armutsbekämpfung sind, dürfen sie nicht mit Menschenrechtsverletzungen einhergehen. Dafür tragen alle beteiligten Akteure eine Verantwortung: Staaten, Sozialpartner und Unternehmen gleichermaßen.

Eine Reihe von Risikofaktoren

Doch was sind die Gründe für Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten? Der ILO-Report zeigt, dass vor allem die Kombination von drei Faktoren  zur Gefahr wird:

  • fehlende durchsetzungsfähige staatliche und kollektive Strukturen zum Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern,
  • hoher sozialer und ökonomischer Druck auf Arbeiterinnen und Arbeiter und ihre Familien aufgrund drohender Armut oder von Diskriminierung,
  • hoher globaler Wettbewerbsdruck für Zulieferer.
Das gilt vor allem in den Bereichen, in denen Arbeit traditionell informell organisiert wird und es weder die Strukturen noch das Bewusstsein für den Schutz von Arbeitsrechten gibt. Besonders verletzlich sind dabei jene Gruppen, die zusätzlich wegen spezifischer Diskriminierung, wegen ihres prekären sozialen oder bürgerrechtlichen Status unter Druck stehen, also etwa Frauen, Indigene, Migrantinnen und Migranten sowie Kinder. Dabei können gerade schlechte Beschäftigungsbedingungen und ein Mangel an Möglichkeiten vor Ort Menschen zur Migration zwingen und die Betroffenen an ihrem neuen Arbeitsort noch verletzlicher machen.

Maßnahmen zur Risikominimierung

Um die genannten Risiken einzudämmen, besteht der erste Schritt in der Ratifizierung der entsprechenden Kernarbeitsnormen durch alle Staaten und die Übersetzung in nationale Gesetze und Richtlinien. Das umfasst auch Auflistungen der besonders gefährlichen und für Kinder verbotenen Berufe.

Der zweite, oft schwierigere Schritt ist der Aufbau staatlicher Kapazitäten für die Durchsetzung dieser Normen. Dazu gehört die Ausbildung von Arbeitsinspektorinnen und -inspektoren sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, aber auch die Koordination von Maßnahmen zwischen den verschiedenen Behörden und Gremien wie Arbeitsministerien, Migrationsbehörden und Mindestlohnkommissionen. Gleichzeitig ist der Aufbau von funktionierenden sozialpartnerschaftlichen Institutionen entscheidend, mit integren Arbeitgeberverbänden einerseits und Gewerkschaften andererseits, die sich ohne Angst vor Repressionen organisieren können. Auf Ausbildung, Koordination und Sozialpartnerschaft liegt auch der Fokus der zahlreichen technischen Kooperationsprogramme, die die ILO mit Regierungen und Sozialpartnern überall auf der Welt durchführt.

Auf Unternehmensseite ist Transparenz über das gesamte Liefernetzwerk notwendig: Probleme müssen lückenlos erfasst und strukturelle Fehlanreize ermittelt werden. Außerdem braucht es effektive Mechanismen, die bei Menschenrechtsverletzungen Abhilfe schaffen. Weil dies für einzelne Unternehmen sehr schwer sein kann, ist die Zusammenarbeit von Arbeitgebern, Arbeitnehmervertretungen und Regierungen unabdingbar. Gerade bei der Evaluation der eigenen Lieferkette können Arbeitnehmervertretungen entscheidende Hilfe leisten.


Bildung, Gesundheit und soziale Sicherheit

Bei der Bekämpfung von Kinderarbeit spielt darüber hinaus Bildung eine entscheidende Rolle. Ein hochwertiges öffentliches Bildungssystem ist das wichtigste Instrument, den Teufelskreis der Armut zu durchbrechen, der Familien dazu zwingt, ihre Kinder zur Arbeit statt zur Schule zu schicken. Wirkungsvoll gegen Kinderarbeit sind zudem sauberes Wasser, eine allgemeine Gesundheitsversorgung sowie ein System zur Geburtenregistrierung, das eine Altersprüfung von Arbeiterinnen und Arbeitern überhaupt erst ermöglicht. Letztlich ist eine umfassende soziale Grundsicherung das beste Mittel, um Menschen zuverlässig vor der Notwendigkeit von Kinder- und Zwangsarbeit zu schützen.