Statements der Sozialpartner zum Projekt Entgeltgleichheit in Deutschland

Statements der Sozialpartner zum ILO-Projekt Entgeltgleichheit in Deutschland

Das ILO-Projekt zur Entgeltgleichheit lebt von der Beteiligung der Sozialpartner, ihrem Meinungs- und Erfahrungsaustausch – akteursbedingt kontrovers und vielfältig. Wie sie den Konsultationsprozess im Rahmen des ILO-Projekts bewerten und was sie zum Thema Entgeltgleichheit sagen, erfahren Sie in exklusiven Stellungnahmen.

Artikel | 30. Juni 2016
Kontakt: ILO Office Berlin Ms Alina Goldbach, Goldbach(at)ilo.org

Arbeitgeberverband Gesamtmetall, Stellungnahme zum Sozialpartnerkonsultationsprozess der ILO, Anja Horn

Die Entgeltrahmenabkommen (ERA) der Metall- und Elektro-Industrie verwirklichen bereits heute das Entgeltgleichheitsgebot. Sie bewerten Tätigkeiten personenunabhängig anhand objektiver arbeitswissenschaftlicher Kriterien, wie z. B. anhand der für die Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse. Da Entgeltunterschiede zwischen Frauen und Männern vor allem Folge unterschiedlichen Berufswahlverhaltens sowie (z. T. mangels Kinderbetreuungsmöglichkeiten unfreiwillig langer) familienbedingter Erwerbsunterbrechungen ist, bedarf es daher in erster Linie der Herstellung echter Chancengleichheit durch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für vergleichbare Erwerbsbiografien der Geschlechter. Hiervon abzugrenzen sind Entgeltdifferenzen zwischen einzelnen Branchen und Regionen: Diese resultieren u. a. aus unter-schiedlich hohen Lebenshaltungskosten und insb. der unterschiedlich hohen Branchenproduktivität.

 

Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, BDA, Nora Fasse, Arbeitsmarkt, betriebliche Personalpolitik


Die Workshops des Dialogprozesses dienten als gute Plattform für einen konstruktiven Austausch und lebhafte Diskussionen. Dabei erhielten die Teilnehmenden Einblicke in das Thema „Entgeltgleichheit“ im internationalen Kontext. Insbesondere der Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden aus anderen Ländern war sehr informativ und bereichernd. Die Besonderheiten des deutschen Tarifsystems, bei dem die Sozialpartner für ihre jeweilige Branche Arbeitsbedingungen und hierbei insbesondere die Entgelte festlegen, kamen gerade vor diesem internationalen Hintergrund deutlich zum Ausdruck. Die Teilnehmenden haben herausgestellt, dass aufgrund dieser Besonderheit des deutschen Tarifsystems Regelungen aus anderen Ländern nicht einfach auf Deutschland übertragbar sind.

Das Tarifsystem mit der Tarifautonomie als Grundlage ist eine tragende Säule der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Tarifverträge bewerten Tätigkeiten personen- und vor allem geschlechtsunabhängig unter der Berücksichtigung objektiver Kriterien. Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer kann dem Tarifvertrag die Entgeltstruktur entnehmen. Zudem können Tarifverträge und deren Weiterentwicklung z. B. im Bereich flexibler Regelungen zur  Arbeitszeit- und Lebensarbeitszeitgestaltung bzw. Demografietarifverträge dazu beitragen, die Beschäftigungsvoraussetzungen insbesondere für Frauen weiter zu verbessern. Ein gesetzlicher Eingriff würde diese erfolgreiche Tarifpraxis und die wichtige Zusammenarbeit der Sozialpartner in den Branchen aushöhlen. Unterschiede im Erwerbsverhalten von Frauen und Männern blieben jedoch bestehen. Dazu zählen vor allem eine nach wie vor sehr unterschiedliche Berufswahl, längere Erwerbsunterbrechungen von Frauen mit Kindern und das geringere Arbeitszeitvolumen von Frauen. Die BDA setzt sich dafür ein, dass sich die Orientierung über Berufe mit guten Verdienstaussichten für Frauen verbessert, dass mehr Frauen ihren Berufsweg ohne längere Unterbrechungen gehen und damit öfter in Führungspositionen gelangen. Dafür muss die Politik die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, insbesondere durch eine umfangreiche, klischeefreie Berufsorientierung und hochwertige, bedarfsgerechte und bezahlbare Kinderbetreuungseinrichtungen.

 

Deutscher Gewerkschaftsbund, DGB, Anja Weusthoff, Abteilung Frauen, Gleichstellung und Familienpolitik

Ein Dialogprozess ist immer sinnvoll. Gerade in der Gleichstellungspolitik hilft die Erkenntnis, dass andere Länder in diesem Politikfeld schon selbstbewusst ihren Weg gehen, während Deutschland hinsichtlich gesetzlicher Regelungen noch zögert. Umso besser ist es, dass beim Thema Entgeltgleichheit inzwischen die Ausgestaltung gesetzlicher Regelungen diskutiert wird. Im Vorfeld kam der Dialogprozess der ILO zur richtigen Zeit. Dabei hätte der ILO Equity Guide und seine Umsetzung gerne noch stärker im Vordergrund stehen dürfen. Auch die Möglichkeiten und Funktionen einer Entgeltgleichheitskommission könnten noch stärker diskutiert werden. Denn die viel geringere und auch als ungerecht empfundene Bezahlung in typischen Frauenberufen wie der Pflege oder in Erziehungsberufen könnten ein guter Rahmen sein, in dem Politik und Sozialpartner nach Wegen suchen, um diese Arbeit in Zukunft deutlich mehr wertzuschätzen und im Vergleich mit entsprechenden Tätigkeiten in anderen Branchen angemessen zu vergüten.

 Eines ist klar: Wo Tarifverträge gelten und Betriebsräte deren Umsetzung überwachen, fällt die Entgeltlücke deutlich geringer aus. Der Fokus der Politik sollte deswegen ganz klar auf den tarifungebundenen Unternehmen liegen, denn hier ist deutlich höherer Handlungsbedarf. Wir gehen davon aus, dass Benachteiligung auf betrieblicher Ebene in erster Linie mittels verbindlicher Prüfverfahren erkannt und beseitigt werden kann. Daher befürworten wir den Ansatz des derzeit vorliegenden Entwurfes für ein Lohngerechtigkeitsgesetz – auch wenn wir die Einschränkung des Geltungsbereiches für die Anwendung von Prüfverfahren auf Betriebe mit mehr als 500 Beschäftigten bedauern. Auch die Tarifvertragsparteien müssen sich künftig noch mehr als bisher bewusst machen, dass ihr Verhandlungsergebnis einer Entgeltanalyse auf betrieblicher Ebene hinsichtlich unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung Stand halten muss.

 

Handelsverband Deutschland, HDE, Heribert Jöris, Geschäfsführer Arbeit, Bildung, Sozial-und Tarifpolitik

Der Dialogprozess war sehr wichtig,

  • wegen des Einblicks, wie andere Länder, in denen es größtenteils keine Flächentarifverträge gibt, versuchen, das Thema Entgeltgleichheit zu handhaben,
  • wegen des Einblicks welche verschiedenen Wege es gibt, das Thema Entgeltgleichheit praktisch umzusetzen und welche Vor- und Nachteile sie jeweils haben,
  • wegen des unmittelbaren Austausch der Sozialpartner zu dieser Thematik abseits üblicher Rituale,
  • weil sich die wichtige Rolle der Tarifverträge für die Entgeltgleichheit in Deutschland gezeigt hat,
  • wegen der Möglichkeit, einen wichtigen Aspekt der Arbeitsweise der ILO kennen zu lernen und sie so näher zu bringen
  • durch das Vertrauen darauf, dass sich Tarifpartner nach bestem Wissen und Gewissen darum bemühen, Tarifverträge so zu gestalten, dass keine Entgeltungleichheit entsteht.
  • dadurch, dass man den Tarifpartnern die Zeit und Gelegenheit gibt, unter Umständen in Einzelfällen vorhandene Probleme in ihren Tarifverträgen zu erkennen und im Rahmen der üblichen Mechanismen der Tarifpolitik zu bereinigen. Staatliche Zwangsüberprüfungsmaßnahmen und das Abladen finanzieller Risiken von problematischen Regelungen alleine auf die Schultern der Arbeitgeber lösen nur eine Tarifflucht aus. Ein Tarifvertrag trägt schließlich die Unterschrift von zwei Seiten.
  • dadurch dass man davon absieht, tarifliche Entgeltbewertungssystemen Überprüfungssysteme überzustülpen, die nach anderen als den von den Tarifvertragsparteien gewollten Mechanismen eine Bewertung des Faktors Arbeit vornehmen. Denn auch die Rechtsprechung des EuGH sieht lediglich Leitplanken für die Frage vor, wie entgeltdiskriminierungsfreie Vergütungssysteme zu gestalten sind, ohne dass dabei die Gewichtung einzelner Faktoren vorgegeben wird. Die Tarifautonomie muss hier respektiert werden.

 

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Frauke Gützkow, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands, zuständig für Frauenpolitik

Endlich stehen die „Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern“ und die „Transparenz der Gehälter“ auf der politischen Tagesordnung. Der ILO-Dialogprozesses hat den Blick über den nationalen Tellerrand ermöglicht und macht Mut, dass die Sozialpartner auch hier gemeinsam voran kommen: Was von der Wirtschaft aktuell noch als untragbarer Verwaltungsaufwand dargestellt wird, funktioniert in Kanada ohne Probleme. Dort arbeiten Arbeitnehmer_innen und Arbeitgeber_innen gemeinsam an einem gerechteren Entlohnungssystem.

Tarifsysteme weisen zwar wenig Entgeltdiskriminierung auf, eine Überprüfung und Verbesserung der Arbeitsbewertungsverfahren ist jedoch auch hier erforderlich, denn häufig ist die Eingruppierung und damit die Bewertung von Tätigkeiten ein Problem. Daneben darf die Besoldung von Beamtinnen und Beamten aber nicht aus dem Blick geraten. Grundschullehrkräfte, von denen über 90 Prozent Frauen sind, werden schlechter besoldet als beispielsweise Gymnasiallehrkräfte oder andere Akademiker_innen im öffentlichen Dienst. Das ist eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, die in einem von der GEW in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten Mittelbare Geschlechtsdiskriminierung bei der Besoldung von Grundschullehrkräften nach A 12 nachgewiesen wird. Weitere Informationen unter der GEW-Webseite Lohngerechtigkeit:

 

IG Metall, Dr. Gabriele Ulbrich, Vorstand, Faruen und  Gleichstellungspolitik

Besonders spannend fand ich die Beispiele aus anderen Ländern. Gerade beim Thema geschlechtergerechtes Entgelt gibt es Deutschland noch enorme Verbesserungspotentiale. Hier können wir von anderen lernen. Im Rahmen des deutschen Tarifsystems wäre es besonders wichtig, die Arbeits- und Leistungsbewertung sowie die unterschiedlichen Zulagen unter der Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit zu prüfen. Wichtig ist es vor allem die Tarifbindung deutlich zu erhöhen.

 

Ver.di Bundesverwaltung, Alexa Wolfstädter, Frauen und Gleichstellungspolitik

Es ist zu begrüßen, dass sich die ILO mit diesem Dialogprozess für die Durchsetzung des Entgeltgleichheitsanspruchs einsetzt. Die internationalen Beispiele haben gezeigt, dass ein Gesetz, das von Betrieben verlangt, ihre Entgeltpraxis zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten, Entgeltungleichheit wirksam verringert, keinen unzumutbaren Aufwand bedeutet und ökonomisch sinnvoll ist.